Von Tiergarten nach Theresienstadt

Leben und Werk der Malerin Julie Wolfthorn

Ein Beitrag von Marc-Thomas Bock

Hier, im südlichen Tiergarten-Kiez, erinnert ein zerkratzter Stolperstein an sie, ein anderer, weiter entfernt, vor einem Haus in Vitte auf der Insel Hiddensee: Die Malerin Julie Wolfthorn, 1864 gebürtig in der westpreußischen Kopernikus-Stadt Thorn an der Weichsel, jüdischer Abkunft und schon früh der Malkunst leidenschaftlich verfallen, lebte 30 Jahre lang, von 1912 bis zu ihrer Deportation 1942 in das KZ Theresienstadt, in dem heute nicht mehr existenten Wohnhaus in der Kurfürstenstraße 50.

Stolperstein vor dem Haus Kurfürstenstr. 50 Foto G. Hulitschke

Im Jahre 1864 geboren und im Kaiserreich sozialisiert, hatte Wolfthorn mit massiven gesellschaftlichen Vorurteilen zu tun: Eine Frau, die sich als Künstlerin etablieren wollte, wurde – wie andere ihrer Zunft – noch bis weit in die Weimarer Republik hinein, etwa auf der Insel Hiddensee in der dortigen Künstlerinnenkolonie von Einheimischen und Provinzredakteuren als „Malweib“ diffamiert. Andererseits war Wolfhorn selbst eher konservativ, was durch ihre Haltung gegenüber der Malerin Paula Modersohn-Becker schon Anfang des 20. Jahrhunderts im Künstlerdorf Worpswede zum Ausdruck kam. Modersohn-Becker wurde von Wolfthorn despektierlich als „Hosendame“ bezeichnet. 

Julie Wolfthorn in ihrem Atelier, noch in der Bülowstr. 90
Foto Public domain

Wer sich aber – wie Wolthorn – der Rolle als nicht erwerbstätige Ehefrau verweigerte, galt im spießigen Milieu wilhelminischer Behaglichkeit als seltsam, wenn nicht gar infantil und wurde entsprechend diffamiert. Wenn eine Malerin darüber hinaus auch noch Zutritt zu den einschlägigen Kulturinstitutionen und Berufsverbänden suchte, traf sie auf den Standesdünkel rein männlicher Akademierepräsentanz, vor deren gestrengen Augen wohl nicht immer das Können entschied, sondern das Geschlecht.

Das wohl bekannteste Bild von Julie Wolfthorn „Mädchen mit blaugrünen Augen“ (1899)
Bild Public domain

Und schließlich war da der im Kaiserreich durchaus schon virulente Antisemitismus alldeutscher Prägung, der zur verdrucksten Ablehnung der Künstlerin als Jüdin führte, während ihre künstlerische Leistung als Porträtmalerin schon lange Anerkennung genoss: So ließ etwa die von ihr im Jahre 1929 dargestellte Marta Baedecker, spätere Leiterin des gleichnamigen Verlages, Wolfthorns Signatur durch Umwenden der Leinwand an dieser Stelle verschwinden. Unter den Nazis dann wurde die bekannte und erfolgreiche Malerin, die schon um die Jahrhundertwende mit ihren Titelblatt-Illustrationen etwa für die „Zeitschrift „Jugend“ Bekanntheit erlangt hatte, mit Berufsverbot belegt. Gemeinsam mit ihrer Schwester, der Schriftstellerin Luise Wolf, einer Schriftstellerin, musste sie sich im Oktober 1942 in einer sogenannten Sammelstelle einfinden und wurde in das KZ Theresienstadt deportiert, wo die Malerin nach zwei Jahren verstarb.    

Verschwundene Stolpersteine

So sah er aus der Stolperstein für Mildred Harnack-Fish © OTFW
So sah er aus der Stolperstein für Mildred Harnack-Fish © OTFW

Bei meiner Recherche zu einem Artikel über den Widerstand in unserem Kiez (erscheint in der nächsten Printausgabe) habe ich mich auch auf die Suche nach den Stolpersteinen von Arvid Harnack und Mildred Harnack-Fish in der Genthiner Straße gemacht und fand – nichts! Klar, da war über Jahre eine Baustelle, aber auch nachdem Gerüste und Abdeckungen entfernt worden waren, tauchten sie nicht wieder auf.