Die Familie Preuss

In der Lützowstrasse 15 stolpert der Passant/die Passantin gleich über fünf Steine (verlegt 2013) der bürgerlichen deutschen Familie Preuss, die mit ihren vier Söhnen von den Innovationen und der Emanzipation der Goldenen Zwanziger zu profitieren wusste und kunstsinnig war.  

Der Textilkaufmann Philipp Paul Preuss (geboren 09.07.1880, Barten in Ostpreußen) heiratete 1909 in Berlin die Kaufmannstochter Margarethe Brasch (geboren 1888 in Lüneburg, Niedersachsen), zog dann vorübergehend nach Nürnberg, wo seine zwei Brüder lebten. Dort wurde 1910 der erste Sohn Adolf 1910 geboren. Der zweite Sohn Martin erblickte 1913 das Licht der Welt in Berlin geboren, wo die Familie nun blieb. 

Der junge Vater Philipp Paul Preuss kämpfte als Freiwilliger für das Deutsche Kaiserreich im Ersten Weltkrieg in Belgien und kehrte 1918 verwundet (in der Schlacht von Messiness am 04. Juni 1917) zu seiner Frau und den Söhnen Adolf und Martin zurück. Seit 1919 lebte die Familie länger in der Melchiorstr. 20, nahe dem Michaelkirchplatz in der Luisenstadt.

Als Kriegsbeschädigter wurde Philipp Paul Preuss bis Mitte der Dreißiger Jahre in einer einer Großhandelsfirma angestellt. Das Einkommen der Familie war vermutlich nicht mehr üppig. In der jungen und bedrohten deutschen Demokratie (Kapp Putsch im März 1920) herrschte die Hyperinflation 1922/23, gefolgt von der Weltwirtschaftskrise 1929.

In diesen Jahren kamen der dritte Sohn (1923) Lothar und der vierte, Gert (1926) hinzu. Trotz der Kinder zeigte Margarete Preuss Initiative und setzte einen Neuanfang für die Familie: gründete und führte in den 20-er und 30-er Jahren erfolgreich eine Strickwarenmanufaktur mit mehreren Angestellten. Zunächst in einem Fabrikgebäude, doch bald darauf in drei Zimmern ihrer 8 Zimmerwohnung in der Leipziger Strasse, nahe dem Warenhaus von Herrmann Tietz (1933 arisiert zu HERTIE) , standen Spulmaschinen, Rauhmaschinen zur Herstellung von Wolldecken und Strickmaschinen, sowie Spezialnähmaschinen. Namhafte Modehäuser, Herrenausstatter und Kaufhäuser (Herrmann Tietz, Hertie) zählten zur Kundschaft von Margarethe Preuss.

1932 zog die Manufaktur in die Schillstr. 8, nahe dem Lützowplatz. 

Nach dem Jahr 1933 und den beginnenden Verfolgungsmassnahmen, wurde die Familie in der Lützowstr. 15 ansässig. Der Betrieb war wesentlich kleiner geworden. Jetzt fertigte Margarete Preuss nach Maß Pullover, Bade- und Skianzüge.  Wohl 1938 verlor der Vater seine Anstellung musste aber bald in einer Munitionsfabrik Zwangsarbeit leisten, Sohn Martin in einer Wellpappenfabrik. Über seine Ausbildung oder Beruf ist gar nichts bekannt. Die Mutter musste wegen Repressionen ihre Manufaktur aufgeben.

Die Synagoge in der Lützowstraße, gleich hinter dem Wohnhaus der Familie Preuss gelegen wurde am 09.11.1938 in der Reichspogromnacht verwüstet. 

Im Sommer 1939 reiste der älteste Sohn Adolf mit Frau und Sohn Rolf (1936) über Frankreich und Italien nach Shanghai aus. Er ernährte seine Familie als  Barpianist, übersiedelte später 1947 in die  USA. Die „Rolf Preuss Papers“ des Enkels von Margarete und Philipp Paul Preuss tragen den Titel „Growing up in Shanghai 1939-1947“ sind wichtige Zeitzeugnisse. Sie befinden sich in der Sammlung des Holocaust Memorial Museums in Washington. 

Die übrige Familie konnte sich nicht zur Ausreise entschließen.  Der Kriegseintritt Italiens im Juni 1940 macht die Ausreise,  so wie Adolf sie angetreten hatte unmöglich. Ab Oktober 1941 galt das generelle Ausreiseverbot für Juden und Jüdinnen.

Der siebzehnjährige Lothar war zu dieser Zeit schon seit Monaten verschwunden. Im April 1941 wollte er zu den Verwandten seines Vaters nach Nürnberg reisen, obwohl Reisen für Juden verboten war. In Weimar wurde er aufgegriffen, verhaftet, nach wenigen Tagen in das KZ Buchenwald verbracht und dort am 26.8.1941 ermordet. Die Todesnachricht und seine Armbanduhr (die auf dem Polizeidienstweg nach Berlin gesandt wurde) wurde den Eltern nicht überbracht. Sie erfuhren nie vom Schicksal ihres Sohnes.

Die Eltern Margarete und Philipp Paul wurden mit den beiden Söhnen, dem Zweitältesten (29 Jahre alt) und dem Jüngsten Gert (16 Jahre alt) am 14.12.1942 von der Sammelstelle für Berliner Juden, in der Großen Hamburger Straße, mit dem 25. Osttransport ins Vernichtungslager Auschwitz transportiert und dort ums Leben gebracht. 

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REDE VON SARAH RICHARDSON 

Anlässlich der Stolpersteinverlegung für die Familie Ledermann / Citroen

Am 8. September wurden vor dem Haus Genthiner Straße 14 fünf Stolpersteine zum Gedenken an die Familie Ledermann verlegt. Sarah Richardson lebt heute in den USA, wohin ihre Großmutter Barbara Ledermann als einzige Überlebende ihrer Familie 1947 auswanderte. Auf der Gedenkveranstaltung zur Verlegung der Stolpersteine am 8. September in der Villa Lützow hielt Sarah Richardson eine berührende Rede, die wir in Auszügen veröffentlichen.

STOLPERSTEINE FÜR OSSIP UND GERTRUD SCHNIRLIN

GUNTER DEMNIG VERLEGT STOLPERSTEINE FÜR OSSIP UND GERTRUD SCHNIRLIN

Künstler Gunter Demnig, Begründer der Stolpersteinkultur, liess es sich nicht nehmen, die messinggoldenen Steine für die Schnirlins selbst zu verlegen, obwohl er immer mehr Aufträge, zunehmend aus dem Ausland erhält.

Ossip Schirlin war einer der größten Violinvirtuosen seiner Zeit im jungen 20. Jahrhundert.

Fünf neue Stolpersteine und Gedenken für die Familie Ledermann-Citroen

Sarah Richardson, die Enkelin Barbara Ledermanns, hatte vor fünf Jahren die Stolpersteinverlegung für ihre Vorfahren angeregt. Foto: APZ

„Diese Stolpersteine fühlen sich für mich eher wie Trittsteine an, ein neuer Halt auf einer persönlichen Reise zu Verständnis, Vergebung, Abschluss und Ganzheit.“

Mit diesen Worten beschloss Sarah S. Richardson ihre bewegende Rede zum Schicksal ihrer Familie, die – bis auf eine Person – Opfer der Shoa wurden. In Anwesenheit einer großen Familiendelegation aus den USA, Frankreich und den Niederlanden waren gestern Nachmittag fünf Stolpersteine in der Genthiner Straße Nr. 14 verlegt worden. Die überlebende 97-jährige Barbara Ledermann Rodbell war online aus den USA zugeschaltet war. Es folgte eine Gedenkstunde im Saal des Kiezzentrums Villa Lützow.

Mildred und Arvid Harnack

Stolpersteine erneut verlegt

Am 7. Oktober um 14:00 Uhr trafen sich rund zwanzig Menschen vor dem Haus Genthiner Straße 14, um die Stolpersteine für Mildred und Arvid Harnack noch einmal zu verlegen. Die beiden Widerstandskämpfer Mildred und Arvid Harnack lebten bis zu ihrer Verhaftung im September 1942 an dieser Adresse.
In der Nacht vom 3. Mai 2019 waren die Stolpersteine gestohlen und der Hauseingang mit Nazi-Parolen beschmiert worden. So fand die erneute Verlegung unter Polizeischutz statt.

Am 27. Januar 1945 …

Am 27. Januar 1945 befreiten sowjetische Truppen das KZ-Auschwitz und das Vernichtungslager Birkenau.

Davor hatten auch viele jüdische Mitbürger*innen aus unserm Kiez dort ihren Tod gefunden.

Verschwundene Stolpersteine

So sah er aus der Stolperstein für Mildred Harnack-Fish © OTFW
So sah er aus der Stolperstein für Mildred Harnack-Fish © OTFW

Bei meiner Recherche zu einem Artikel über den Widerstand in unserem Kiez (erscheint in der nächsten Printausgabe) habe ich mich auch auf die Suche nach den Stolpersteinen von Arvid Harnack und Mildred Harnack-Fish in der Genthiner Straße gemacht und fand – nichts! Klar, da war über Jahre eine Baustelle, aber auch nachdem Gerüste und Abdeckungen entfernt worden waren, tauchten sie nicht wieder auf.

Ermordet in Auschwitz

„Man muss nicht selber in Auschwitz gewesen sein, um das Entsetzen und die Trauer zu lernen. Was man über das Schlimmste aller Menschheitsverbrechen erfahren kann, ist überall verfügbar.“ (Andreas Breitenstein, Neue Zürcher Zeitung)

….auch bei uns im Kiez.