Stille Heldinnen (3)
Als nach der November-Revolution 1918 das gleichberechtigte Frauenwahlrecht eingeführt wurde, begann der rasante Prozess der Emanzipation der Frauen und zumindest in Teilen der Republik und Teilen der Gesellschaft genossen Frauen ihre Beteiligung am politischen und gesellschaftlichen Leben.
Nach der Machtübernahme der Nazis 1933 machten sich diese jedoch daran, „Frauen auf ihre angestammte Rolle zurück zu führen“.
Dazu Hitler auf dem Reichsparteitag der NSDAP am 8. September 1934 in Nürnberg:
„[…] das Wort von der Frauenemanzipation ist ein nur vom jüdischen Intellekt erfundenes Wort. Wir empfinden es nicht als richtig, wenn das Weib in die Welt des Mannes eindringt, sondern wir empfinden es als natürlich, wenn diese beiden Welten geschieden bleiben.“
Die Nationalsozialisten wollten, dass die Frau im Nationalsozialismus nur Mutter und Ehefrau war. Sie sollte viele Kinder bekommen und auf diese Weise den Fortbestand des Dritten Reiches sichern. NS-Frauenschaft, das Deutsche Frauenwerk, der Bund Deutscher Mädchen und das Mutterkreuz (ein bewusst Militär-ähnlicher Orden für Vielgebärende) dienten dazu, dieses Bild unters Volk zu bringen. Glaubt man den verstörenden Propaganda-Bildern der damaligen Zeit von Frauen, die dem im offenen Auto vorbeifahrenden »Führer« mit Freudentränen und schmachtenden Blicken begegnen, war das wohl auch bei vielen erfolgreich.
Und doch waren viele Frauen, die für die damalige Zeit sehr moderne Lebensentwürfe hatten, nicht bereit, sich dem NS-Frauenbild oder herrschenden Normen zu unterwerfen – und leisteten Widerstand.
Aus welchen Motiven auch die Widerständigkeit erwachsen war, der humane Umgang mit Menschen stand fast immer im Vordergrund, ebenso die Vision einer gerechteren und solidarischen Gesellschaft.
Lieselotte Borde
So auch die 1923 geborene Lieselotte Borde, die im Herbst 1943 in Kontakt kam mit Hedwig Bahr, die als ,Halbjüdin‘ zwar durch die Ehe mit ihrem christlichen Ehemann geschützt war, der aber trotzdem ein fanatischer Hausbewohner zusetzte, indem er ihr u. a. die Benutzung des Luftschutzkellers untersagte. Frau Borde nahm sich der verängstigten Frau an und holte sie bei Voralarm zu Hause ab. Dabei lernte sie eines Tages einen „Herrn Miete“ kennen, der schnell weggeschickt wurde. Später erfuhr Frau Borde, dass es sich bei dem Betreffenden um den Bruder von Frau Bahr, Herbert Labischinski, handelte. Als er in Not war und kein Quartier für ihn gefunden werden konnte, nahm sich Familie Borde des Mannes an. Als er schwer erkrankte, versorgte man ihn vier Tage und Nächte in einer Laube in Weißensee. Wieder genesen, drohte bald darauf die Entdeckung der falschen Identität und der Verlust des Verstecks.
Lieselotte Borde erinnert sich: „Also musste ein neues Domizil gefunden werden. Ich machte mich auf die Suche, nicht leicht im zerbombten Berlin 1944. Ich gab an, ich bekäme ein Baby. Auf der Arbeit tat ich, als sei mir immer sehr übel, es gelang mir, diese aufzugeben. Ich fand eine Dachkammer am Lützowufer 10. In dem Haus wohnten viele Nazigrößen, die ihre Familien evakuiert hatten. Die Kammer lag im Hinterhaus, fünf Wendeltreppen hoch. Ich musste nur achtgeben, dass nicht zwei Leute zugleich in der Kammer umhergingen. Natürlich konnten wir bei Fliegeralarm keinen Keller aufsuchen, wir blieben oben. Meine Mutter versorgte uns mit Lebensmitteln, indem sie das Warenlager meines Vaters eintauschte, so dass wir einige Zeit auch noch einen Freund Herbert Labischinskis mitversorgen konnten – einen Herrn Holländer, der aber eines Tages verschwunden war, wahrscheinlich aufgegriffen. Es gelang mir, Herrn Labischinski bis über das Kriegsende hin zu retten.“
(Quelle: Hans Rainer Sandvoss, aus „Widerstand in Mitte und Tiergarten“)
Der Mut von Liselotte Borde war nicht vergeblich.
Gerade Frauen haben bewiesen, dass auch in einer Zeit größten Grauens und totalitärer Diktatur menschliches Handeln möglich war – in aller Stille und doch auch unter massiver Gefährdung ihrer eigenen Person.
„Nichts war vergeblich, was sich gegen das Regime gerichtet hat“
sagte die Kämpferin der Résistance und Auschwitz-Überlebende
Gerti Schindel (1913 – 2008)