Nachdem Sally Fürstenberg bei der Firma Albert Rosenhain eine Stelle als Kaufmann 1879 angetreten hatte – in einem „Galanterie-, Luxus- und Papeterie-Warengeschäft“ – und bereits 1888 vom Kaufmann Albert Rosenhain zu seinem Mitinhaber ernannt wurde, heiratete er im Jahr 1890 dessen 22-jährige einzige Tochter Rose. In diesem Teil der Geschichte verfolgen wir sein Geschäfts- und Familienleben bis zur – erzwungenen – Geschäftsauflösung durch die Nationalsozialisten.
Sally Fürstenberg, der Geschäftsmann
Auch über Sally Fürstenberg waren die Auskünfte, die der Polizeipräsident 1911 und 1914 an die zuständigen Ministerien lieferte – in Sachen Hoflieferant z.B. -, durchweg positiv. Zunächst das Geld: für das Jahr 1914 betrug sein Einkommen 350.000 und sein Vermögen 1,54 Million Mark. Ehrenamtlich war er als vereidigter Sachverständiger bei Gericht tätig (seit 1903), war Mitglied im Vorstand des Verbands der Berliner Spezialgeschäfte und Mitglied des Fachausschusses der Berliner Handelskammer. Im Juni 1914 beantragte der Verband der Spezialgeschäfte für ihn beim Polizeipräsidenten eine Auszeichnung mit einem Orden und verwiess dabei auch auf seine Wohltätigkeit gegenüber seinen Angestellten, aber aus dem Orden ist wohl nichts geworden. Der Polizeipräsident: „In der Geschäftswelt wie im bürgerlichen Leben erfreut er sich allseitiger Achtung und führt sich einwandfrei. In politischer Beziehung ist nachteiliges über ihn nicht bekannt. Im Jahr 1894 ist er wegen Gewerbevergehens zu 20 M Geldstrafe, im Unvermögensfalle 4 Tagen Haft und 1901 wegen Übertretung des § 370.4 R.St.G.B.* mit 5 M Geldstrafe im Nichtbeitreibungsfalle einen Tag Haft bestraft worden. Soldat war er nicht und besitzt auch keine Auszeichnung“ (11).
* Reichs-Strafgesetzbuch § 370: Übertretungen – Straftaten im Amte: (1876): Absatz 4: wer unberechtigt fischt oder krebst … Da hat er sich wohl ein Sonntagsessen angeln wollen.
Im Jahr 1914 wurde Sally Fürstenberg zum stellvertretenden Handelsrichter ernannt (s. unten), die entsprechende Personalakte fand sich im Brandenburgischen Landeshauptarchiv (20).
Die Familie Fürstenberg
Sally Fürstenberg und seine Frau Rosa bekamen in den Jahren 1900 bis 1908 vier Söhne: Paul Phillip Hans, geboren am 30. Juni 1900, Werner Fritz, geboren am 1. August 1904, Ulrich Rolf Ernst, geboren am 15.8 August 1906 und Hellmuth Joachim Moritz, geboren am 7. Juli 1908. Alle vier Söhne lernten den Kaufmannsberuf, verblieben in der Firma des Vaters (s. unten), und emigrierten mit ihm gemeinsam 1938 nach Holland – und von dort weiter nach Übersee vor der Besetzung der Niederlande durch die Nationalsozialisten 1942. Ihnen blieb das Schicksal vieler Juden erspart, die aus Deutschland oder aus den von den Nazis besetzten Gebieten deportiert und ermordet wurden. Ihren weiteren Lebensweg werden wir in einem späteren Teil behandeln.
Auffallend und ungewöhnlich an dieser Familiengeschichte ist der Umstand, dass zwischen Hochzeit (1890) und ersten Kind (1900) zehn Jahre vergingen – Familienplanung oder Schicksal? Familienplanung – im heutigen Sinne: Verzögerung der Geburt von Nachkommen um eigene Ziele, z.B. der Frau zunächst realisieren zu können – scheidet sicher aus, Rosa hatte laut Heiratsurkunde keinen Beruf, half stattdessen in der familiären Firma; der Typus der selbstständigen Frau mit Beruf und eigenen beruflichen Ambitionen entwickelte sich erst nach dem 1. Weltkrieg. Auch war das Herausschieben einer Geburt mit Risiken verbunden, solange Geburten per se ein Risiko waren. Zwar waren die hygienischen Standards weiter entwickelt als noch 50 Jahre zuvor (Semmelweis, Pettenkofer, Koch und anderen sei Dank) und Kindersterblichkeit und Kindsbettfieber deutlich zurückgegangen, aber keineswegs verschwunden: Säuglingssterblichkeit (im ersten Lebensjahr) betrug in Deutschland 1900 noch ca. 16%, Kindersterblichkeit (in den ersten 5 Jahren) noch mehr als 30%, und Müttersterblichkeit war mit 300 toten Müttern auf 100.000 Geburten sehr hoch (heute: 7 pro 100.000 Geburten) (21).
Um zu prüfen, ob im Zeitraum von 1890 bis 1900 nicht vielleicht doch ein weiteres Kind geboren worden war, das nicht lange überlebt hatte, wurden die Namenslisten des zuständigen Standesamtes in Berlin (Standesamt I/II) durchforstet – ohne Ergebnis. Bleibt noch die Möglichkeit, dass es zu einem spontanen, frühen Abbruch einer Schwangerschaft gekommen sein könnte, der nicht als Tot- oder Fehlgeburt gemeldet werden musste, oder dass eine andere, medizinisch oder sonst wie begründete Zeugungsunfähigkeit bei Mann und/oder Frau vorgelegen haben mag – das wäre dann Schicksal und würde sich einer historischen Analyse weitgehend entziehen.
Der Umzug an den Lützowplatz 1905
In den ersten 15 Jahren nach der Ehe wohnte Sally Fürstenberg noch in der Friedrichstadt, in der Nähe seiner Firma Albert Rosenhain an der Leipziger Straße 72: Zunächst (ab 1891) in der Wallstraße 60, und ab 1896 in der Jerusalemstra0e 11-12; im Jahr 1905 zog die Familie an den Lützowplatz 5 (heute Nr. 9).
Es würde den Rahmen dieser Geschichte sprengen, hier die Auswertung der 7 Bände der Bauakte des Gebäudes Lützowplatz 5 vorzunehmen (22). Eine kurze Version soll hier nur die Rahmendaten berichten: Das Haus war ursprünglich 1873 als freistehendes zweigeschossiges Wohnhaus für die Geschwister Carl Ferdinand und Hermann August Zimmermann und ihre Familien geplant worden (Bild 23), die ein Grundstück von „angeblich 201 QR“ (QR= Quadratruten, ca. 2800 qm) im Jahr 1871 von den Spekulanten Collins & Lau (s. mittendran vom 19.5.2021) gekauft hatten und bis dahin am Tempelhofer Ufer 34 wohnten.
Die Bauerlaubnis erfolgte am 31. Mai 1873, ein Jahr später wurde der Anschluss der Sickergrube zwischen Wohnhaus und Stall an die öffentliche Kanalisation angeschlossen (Bild 24). Ein Umbau im Jahre 1891 erhöhte das Haus um ein weiteres Stockwerk (Bild 23) und ein Quergebäude anstelle des früheren Stallgebäudes, so dass die Besitzerin, die Witwe Gina Zimmermann, das Haus teilweise vermieten konnte. 1898 wurde das Quergebäude umgebaut und erweitert. Als die Familie Fürstenberg 1905 das Haus erwarb, waren von der Gesamtfläche von 1423qm ca. 634 qm bebaut, so dass – nach einer Erweiterung des Quergebäudes um ca. 80qm im Jahre 1928 – die Familie (Sally, Rosa und 4 Kinder, und zumindest 1924 seine Mutter) auf der sogenannten „Beletage“ (Hochparterre) mit insgesamt mehr als 700 qm komfortable lebte (Bild 25) und die beiden darüber liegenden Etagen vermietete – die Mietpreise bewegten sich zu dieser Zeit im Bereich von 5700 Mark/Jahr für das ganze Haus (1888), wie wir aus einer anderen Akte (23) wissen. Ihre Mieter waren zumeist Professoren und Bankiers, dazu war dies eine viel zu begehrte Lage und der Preis verhältnismäßig hoch, gemessen an den durchschnittlichen Jahreseinkommen.
Firmengründung 1924
Zwar hatte sich Albert Rosenhain bereits 1901 aus der Leitung der Firma Albert Rosenhain zurückgezogen und die Geschäftsführung den Gebrüdern Sally und Gustav Fürstenberg überlassen, aber er war mit Sicherheit noch stiller Teilhaber. Als er am 20. August 1916 im Alter von 79 Jahre verstarb, wohnten er und seine Frau Line (Samueline) in Berlin in der Königin-Augusta-Straße 24, auf der anderen Seite des Landwehrkanals. Line Rosenhain geborene Löwenthal starb am 24. Juli 1924 in Alter von 80 Jahre alt und wohnte zu diesem Zeitpunkt am Lützowplatz 5, auch wenn auf ihrer Sterbeurkunde die Adresse Königin-Augusta-Straße 24 angegeben war. Und Rosa Fürstenberg geborenere Rosenhain, Ehefrau des Sally Fürstenberg starb am 8. September 1925, ihr Tod wurde durch ihren Sohn Paul Fürstenberg angezeigt (Bild 26).
Spätestens nach dem Tod des Firmengründers war offenbar eine Neugründung der Firma Albert Rosenhain notwendig, wie eine Akte aus dem Handelsregister B des Amtsgerichts Charlottenburg belegt: Am 13. März 1922 hatten Sally und Gustav einen neuen Gesellschaftervertrag vorgelegt, in dem die bislang offene Handelsgesellschaft in eine G.m.b.H. umgewandelt wurde. „Gegenstand des Unternehmens ist der Vertrieb von Leder-, Luxus- und Galanteriewaren, insbesondere der Fortbetrieb des zu Berlin unter der Firma Albert Rosenhain bestehenden Handelsunternehmens, zu dem Grundstücke nicht gehören“ (11). Das Stammkapital von 5 Mio. Mark wird in 500 Anteilen von je 10.000 Mark im Verhältnis von 3:2 unter den beiden Eignern (Sally, Gustav) aufgeteilt. Die Geschäftsführung übernehmen die beiden Gesellschafter, die dafür jeweils ein Jahresgehalt von 200.000 Mark erhalten, die Ehefrauen der beiden werden zu stellvertretenden Geschäftsführerinnen.
Nach dem frühen Tod seines Bruders und Kompagnons Gustav am 8. April 1931 im Alter von 61 Jahren trat seine Witwe Sophia geb. Birnholz als stellvertretende Geschäftsführerin zurück, blieb aber Gesellschafterin, und Sallys ältester Sohn Paul trat als Geschäftsführer ein. Im Jahr 1933 wurden auch die anderen Söhne Gesellschafter: Das nach Hyperinflation des Jahres 1923 und der Währungsreform 1924 registrierte Stammkapital von 1.25 Mio. Reichsmark (RM) verteilte sich im Verhältnis von 4:2:1:1:1:1 auf Sophia, Sally, und die Söhne Paul, Fritz, Ulrich bzw. Hellmut; die waren jetzt 23, 19, 17 und 15 Jahre alt. Paul bekommt eine Generalvollmacht, seinen Vater in allen Angelegenheiten allein vertreten zu dürfen. Diese Vollmacht wird bereits in Amsterdam im deutschen Generalkonsulat angefertigt – die Familie war 1933 ausgereist. Zwei Jahre später, mit Datum vom 27.September 1935, teilen die beiden Geschäftsführer (Sally, Paul Fürstenberg) dem Amtsgericht Berlin (Handelsregister) mit, dass aufgrund notarieller Verhandlungen vom 16.September 1935 die Gesellschaft aufgelöst ist und sie beide zu Liquidatoren bestellt worden sind. Der Liquidationsprozess dauert allerdings noch bis 1943 und wird erst am 29. Juli 1943 von der Berliner Revisions-Aktiengesellschaft bestätigt, die „die Bücher und Schriften … aufbewahrt“ – davon wird noch zu reden sein (s. unten, Firmenauflösung).
Handelsrichter Fürstenberg
Bereits vor seiner Ernennung und Vereidigung als Handelsrichter im Jahr 1914 war Sally Fürstenberg vereidigter Sachverständiger für Leder-, Luxus- und Galanteriewaren bei den Berliner Gerichten (laut Adressbuch seit 1903), war seit 10 Jahren Kaufmannsgerichts-Beisitzer und II. Vorsitzender des ständigen Ausschusses für den Kleinhandel der Handelskammer zu Berlin. Mit Datum 1. Juli 1914 wurde er für 3 Jahre zum stellvertretenden Handelsrichter am Landgericht II ernannt; diese Bestallung wurde 1918, 1920, 1923, 1926 und 1929 erneuert. 1931 wird er zudem als Sachverständiger für das Kammergericht und die Landgerichte I, II und III bestätigt. Im Jahr 1932 wird die Ernennung zum Handelsrichter nicht erneuert, aber unter ausdrücklichem Verweis darauf, dass dies „lediglich deshalb nicht erfolgt, weil mit Rücksicht auf die Abnahme der Handelssachen eine Verminderung der Zahl der Handelsrichter vorgenommen werden musste“ (20).
Personalakten enthalten keine gerichtlichen oder juristischen Vorgänge, an denen der Handelsrichter Fürstenberg beteiligt war, sondern vor allem Urlaubsgesuche, Krankschreibungen und beamtenrechtliche Vorgänge. Gelegentlich weist dies auf berufliche bedingte Reisen z.B. zur Leipziger Messe hin, manchmal enthalten Urlaubsgesuche Hinweise auf familiäre Gründe: so z.B. bei einem Urlaubsgesuch vom 12. Januar 1924 unter Hinweis auf eine schwere Erkrankung seiner Frau Rosa – „im Dez. 23 und Anfang Januar 24 wegen plötzlich einsetzender Erblindung eines Auges (infolge schwerer Erkrankung ihres Gefäßsystems)“ – die daran im Sommer des Jahres verstarb (s. oben, Bild 26). Oder eine eigene Erkrankung (ein stark juckendes Hautleiden, behandelnder Arzt Prof. Chajes) im Juli 1925, die nach einer Stress-bedingten psychosomatischen Reaktion klingt (wenn dem Autor diese „Ferndiagnose“ gestattet ist).
Und dann findet sich doch noch ein dienstlicher Vorgang: In einem Zeitungsartikel vom 8. September 1925 (20) wurde dem Handelsrichter Fürstenberg und einem weiteren Kollegen vorgeworfen, ihre Positionen im Aufsichtsrat einer Firma dazu benutzt zu haben, einen noch nicht vom Aufsichtsrat genehmigten Bilanzbericht einer Konkurrenzfirma zur Einsicht gegeben zu haben. Die Sache wurde als erledigt betrachtet, als klar war, dass der Konkurrent der Firma früher angehörte hatte, die Daten aus anderen Quellen kannte, und die beiden Aufsichtsräte sich redlich und erfolgreich bemüht hatten, die allseits bekannten Streitigkeiten in der Firma vorgerichtlich zu klären.
Wohin mit dem vielen Geld: Immobilienkauf und Pferderennsport
Zählten die Fürstenbergs bereits nach der Jahrhundertwende zu den reichsten Menschen in Berlin (13), so hat sich diese privilegierte Situation in den Jahren bis zur Auflösung der Firma und Emigration – natürlich – nicht verschlechtert. Deutlich wird dies weniger an der Wohnsituation als vielmehr an den Investitionen, die Sally tätigte. Wir hatten aber schon gesehen, dass sein jüngerer Bruder Gustav 1930 in das Villenviertel Dahlem zog und dort eine Immobilie erwarb und bewohnte.
Zum einen waren dies Immobilien in den besten Lagen der Stadt, wie man den Adressbüchern Berlins entnehmen kann: Das erste Grundstück war in der Leipzigerstraße 73/74, erworben 1906, sowie das rückwärtig dazu gelegene Grundstück Niederwallstrasse 13/14, erworben 1908; hier waren die Geschäftsräume (s. Bild 21). In der Lietzenburgerstraße 13 besaß die Familie seit 1908 ein Grundstück, auf dem ein Wohnhaus stand. 1919 erwarb Sally Fürstenberg auch noch das Grundstück Lützowstraße 60 in unmittelbar Nachbarschaft zum Wohnsitz Lützowplatz 5 – die beiden Gartengrundstücke waren hinter den Häuserreihen miteinander verbunden (Bild 27). Die Familie erwarb 1932 die Grundstücke Kurfürstendamm 230 und 232; Eigentümer war hier die „Kurfürstendamm Wohnstätten AG“ mit Sitz in der Leipzigerstrasse 72,74 (Firma Rosenhain). Weitere Erwerbungen waren 1933 ein Wohnhaus in der Augsburgerstrasse 34 (1934 war der Eigentümer die Firma Rosenhain, Kurfürstendamm 228, danach die o.g. Wohnstätten AG) und 1934 ein Wohnhaus in der Wassertorstrasse 3 (Kreuzberg). All diese Immobilien mussten aufgrund der „Verordnung über den Einsatz des jüdischen Vermögens“ vom 3. Dezember 1938 veräußert werden und wurden – weit unter Wert – für die Bezahlung der Reichsfluchtsteuer genutzt – dazu ein andermal mehr.
Und dann waren da noch die Rennpferde, wie wir aus einer Sammlung von Presseartikeln zu Sally Fürstenbergs 70. Geburtstag im Jahr 1930 erfahren haben – gefunden im Jüdischen Museum von Berlin (JBM), dem JBM von Nachkommen der Familie Fürstenberg in den USA zur Verfügung gestellt (24). Textlich waren die meisten der 33 Artikel nicht unabhängig voneinander (auch Journalisten schreiben voneinander ab), das Foto des Jubilars war in den meisten Fällen das gleiche, und bezüglich der Lebensdaten und Fakten enthielten Sie nicht viel Neues über das hinaus, was wir inzwischen in Archiven gefunden hatten, aber definitiv neu war die Sache mit den Rennpferden. Wenn man sie dann weiß, sind weitere Informationen leicht zu finden in der Tagespresse, insbesondere in den Meldungen zum Pferderennsport.
Zwischen 1922 und 1929 konnte wir acht Rennpferde identifizieren, als deren alleiniger Besitzer Sally Fürstenberg genannt wurde. Dies waren von 1922 bis 1925 der Hengst Contrahent, 1923 und 1924 die Pferde Palette sowie Blücher, 1925 Toga, 1925 bis 1927 Mainberg, 1926 bis 1929 Tullus Hostilius und Freier Wille, und schließlich 1925 bis 1928 Pilatus, das ihm anfänglich zur Hälfte gehörte, zuletzt aber unter E.S.Fürstenberg lief. Mit Mainberg hatte er 1927 seine größten Gewinner: „Herr E.S.Fürstenberg ist der Besitzer des Siegers im großen Preis von Karlshorst, Mainberg, der die Gesamtgewinnsumme, die 37 570 Mark ausmacht, bis auf einen geringen Bruchteil, allein zusammentrug“ (25). Der Hengst mit dem Namen Tullus Hostilius (Bild 28), benannt nach dem sagenumwobenen dritten römischen König (710 – 640 v.Chr.), konnte auf eine stattliche Herkunft zurückblickend, die bei Rennpferden (wie beim Adel) auf das Sorgfältigste dokumentiert wurden und werden; er war vermutlich das teuerste Engagement von Sally Fürstenberg. Er galt in der Saison 1927 als Favorit für das Deutsche Derby, patzte aber aufgrund der Wetterbedingungen. Bei einem Rennen in Berlin-Hoppegarten am 26. Juli des gleichen Jahres verletzte er sich schwer (Bruch der linken Fußwurzel) und schied für weitere Monate aus dem Rennbetrieb aus. Als er im Oktober als wiederhergestellt galt, wurde vermeldet, dass er nicht mehr zum Rennbetrieb tauge, sondern zu Zuchtzwecken eingesetzt werden sollte; 1931 wurde er verpachtet – für Sally Fürstenberg sicherlich ein ganz erheblicher finanzieller Verlust.
Die Auflösung der Firma Rosenhain
Die erzwungene Geschäftsauflösung der Firma Rosenhain, der Zwangsverkauf aller ihrer Immobilien und die Zahlung einer horrenden Reichsfluchtsteuer als Voraussetzung für die Emigration der Familie Fürstenberg aus Deutschland sind Thema eines weiteren Teils dieser Geschichte. Deren Grundlage waren eine Vielzahl von antijüdischen Gesetzen, die die Nationalsozialisten in den Jahren nach der Machtergreifung 1933 erlassen hatten (26). Viele der dabei erzwungenen „Verträge“ der Familie Fürstenberg mit dem deutschen Reich wurden erst in den Restitutionsverfahren der Familie nach dem Krieg öffentlich bekannt und werden hier erstmals ausgewertet. Eine Darstellung dieser sinnentstellend „Wiedergutmachungsverfahren“ genannten Prozesse ab 1950 wird diese Familiengeschichte abschließen.
Literatur (für Nummern unter 20 siehe die Teile 1 bis 4)
20. Landgericht II Berlin, Personalakten betreffend den stellvertretenden Handelsrichter Egon Sally Fürstenberg. Signatur 4A KG Pers 10837 im Brandenburgischen Landeshauptarchiv (BLHA) Potsdam.
21. Säuglings-, Kinder- und Müttersterblichkeit. Siehe die entsprechenden Artikel in Wikipedia mit diesen und weiteren Quellen, z.B. https://de.wikipedia.org/wiki/Säuglingssterblichkeit.
22. Bauakten des Wohnhauses Lützowplatz 5 (heute: 9) im Bauakten-Archiv des Bezirksamtes Berlin-Mitte; auf Anfrage waren es sieben Akten, die nur durch den Eigentümer einsehbar sind. Die Einsichtnahme erfolgte durch Herrn Dr. Wellmann vom HaL, der die Scans zur Verfügung stellte.
23. Akten der Stadtverordneten-Versammlung zu Berlin, betreffend den Lützowplatz. Im Landesarchiv Berlin, Signataur A Rep. 000-02-01 Nr. 734 – darin sind für die einzelnen Häuser am Lützowplatz die Mieten im Jahr 1888 aufgelistet.
24. Archiv des Jüdischen Museums Berlin (JMB), Akte Nr. L-2005/30/5, ein in Leder gebundenen Buch mit Zeitungsausschnitten von 1930 anlässlich des 70. Geburtstages von Sally Fürstenberg. Das Foto des Pferdes Tullus Hostilius war in der B.Z. am Mittag Nr. 35 vom 5. Februar 1930 auf der Titelseite abgebildet.
25. Deutsche Allgemeine Zeitung, Mittagsausgabe vom 23.November 1927, Seite 3.
26. Die Liste der antijüdische Gesetze finden sich bei Wikipedia: https://de.wikipedia.org/wiki/Liste_antijüdischer_Rechtsvorschriften_im_Deutschen_Reich_1933–1945