Das Haus Fürstenberg am Lützowplatz – 3

Im zweiten Teil haben wir die Generation der Eltern kennengelernt, heute sind Sally Fürstenberg und seine Geschwister das Thema unserer Geschichte. Sally Fürstenberg war das älteste der vier Kinder von Emma und Philipp Fürstenberg; er wurde am 5. Februar 1860 geboren, zu diesem Zeitpunkt wohnte die Familie in der Turmstraße 45 in Moabit.

Sally Fürstenbergs drei Geschwister

Martha Fürstenberg, geboren 8. Januar 1862. Sie heiratete am 1. April 1886 den Handlungs-Commis (Handlungsdiener) Emil Brock, geboren am 25. November 1858 aus Zellin, Kreis Königsberg, Neumark, Sohn des dort verstorbenen Kaufmanns Levin Judas Brock und dessen Ehefrau Laura, geborene Franck. Sie hatten zwei Kinder, Edith, geboren 1886 und Alice Margarete, geboren 1897. Die erste heiratete einen Horwitz, die zweite einen Dreifuss. Die Familie Brock, auch die beiden Töchter, wandern 1939 über Argentinien nach Uruguay aus (Bild 10). Dort starb Martha am 17. Mai 1946, nachdem 10 Monate zuvor ihr Mann verstorben war (Bild 11).

Bild 10: Passagierliste des Schiffs „Oceania“ nach Montevideo über Buenos Aires am 16. Oktober 1939 mit dem 81-jährigen Emil Brock und seine 77-jährige Frau Martha, geborene Fürstenberg sowie der jüngeren Tochter Alice Dreifuss geborene Brock mit drei Kindern (die letzten sechs Zeilen). In allen Pässen waren schon die jüdischen Zwangsnamen Israel bzw. Sara eingetragen. Sie kamen zu diesem Zeitpunkt aus Genf und hatte in Triest eingeschifft.
Bild 11: Todesanzeige für Martha Brock geborenen Fürstenberg und Emil Brock im Jahr 1946 in einer deutschsprachigen Zeitung in Uruguay (Quelle: unbekannt)

Julius Fürstenberg, geboren in Berlin am 18. Dezember 1865, wanderte bereits mit 18 Jahren in die USA aus. Einer eidesstattlichen Erklärung zur Erlangung eines Passes im Jahr 1907 können wir eine Reihe von Daten entnehmen: Erstmalige Einreise – per Dampfer von Bremen – am 23. Juli 1883, zwischen 1890 und 1907 dauerhaft in den USA, zum Zeitpunkt der Antragstellung in Houston, Texas wohnhaft; er wurde amerikanischer Staatsbürger im September 1906, sein Beruf: Stewart. 

Julius heiratete zweimal, in beiden Fällen eine Christin – was offenbar in den USA keine Rolle spielte, aber zu der in Teil 1 geschilderten genealogischen Verwirrung Jahre später führte. Die 1. Ehe war mit einer Katharine Riess (oder Reiss) am 20. Oktober 1891 in Galveston, Texas, USA; sie war 1871 in Deutschland geboren worden und starb am 30. August 1900 in Harris, Texas. Ihr Sohn Fritz Julius Carl wurde am 6. März 1899 in Potsdam geboren und am 14. Oktober 1900 in Harris County getauft. Die 2. Ehe wurde am 16. November 1905 in der Trinitiy Lutheranean Church, Harris County Texas geschlossen, seine Frau war Elise Loeser, geboren 1858 in Chemnitz, sie war mit ihren Eltern 1888 in die USA eingereist. Sie brachte einen Sohn (Willi Loeser, 1882-1942) mit in die Ehe. Julius starb am 17. Juni 1911 im Alter von nur 45 Jahren in Houston an einem Lungenkarzinom (Bild 12), der Sohn Fritz aus erster Ehe starb 1966 ebenfalls an einem Lungenkarzinom.

Bild 12: Sterbeurkunde für Julius Fürstenberg vom 17. Juni 1911

Gustav Fürstenberg, der 6 Jahre jüngere Bruder von Sally, wurde am 17.Juni 1868 geboren – er starb am 8. April 1931 in Berlin in der Charité. Kaufmann wie sein Bruder, wurde er 1901 zu dessen Partner und Teilhaber an der Firma Albert Rosenhain und wurde innerhalb kürzester Zeit zu einem sehr reichen Mann. Als die Firma 1911 um Verleihung des Titels „Großherzoglich Sächsischer Hoflieferant“ beim Sächsischen Hofmarschallamt in Weimar nachsuchte, bat das Amt den Polizeipräsidenten von Berlin um Auskunft „über das Geschäft, den Ruf und die Vermögensverhältnisse der Gesuchsteller„, ebenso beim Antrag zur Führung des Titels Hoflieferant des Königs von Rumänien 1913 (Bild 13). Aus dieser Akte (11) erfahren wir einiges aus der Geschichte der Firma, aber auch Gustavs Vermögensverhältnisse: „Sein Ruf und seine Führung sind einwandfrei. Für das laufende Jahr ist er mit einem Einkommen von 90 000 bis 92 000 und einem Vermögen von 260 000 bis 280 000 M zur Steuer veranlagt“ – und das macht nach einer Umrechnungstabelle der Bundesbank (12) etwa das 5,6-fache in Euro heute, also knapp eine halbe Million Jahreseinkommen und 1.5 Millionen auf der Bank. Im Jahr 1914 wurde Gustav, wie zuvor sein Bruder Sally, vereidigter Sachverständiger bei den Berliner Gerichten.

Bild 13: Genehmigung des Polizeipräsidenten vom 30. Juni 1913 für Gustav Fürstenberg, Hoflieferant des rumänischen Königshauses zu werden (aus: Akte im Landesarchiv Berlin (11)).

Auch wenn er nicht ganz so viel verdiente wie sein älterer Bruder, bei dem laut „Millionäre in Preußen“ (13) ein Einkommen von 170.000 und ein Vermögen von 2,8 Millionen für das Jahr 1911 zu Buche schlugen, reichte dies aus, einen Hausstand zu gründen: Gustav heiratete am 6. Januar 1914 die Sophia Birnholz, geboren am 21. Oktober 1887 zu Berlin, Tochter des Rentiers Elias Eduard Birnholz und dessen Ehefrau Pauline, geborene Lichtenstein, wohnhaft Wilmersdorf (Schayerstraße 1). Gustav und Sophia hatten zwei Töchter, Leonie und Vera. In seinem Testament von 1930 (14) setzte er seine Frau als Alleinerbin ein, verfügt aber, dass die Töchter Nacherben zu gleichen Teilen sein sollten.

Zum Zeitpunkt seines Todes wohnte die Familie in Berlin-Grunewald, Siemensstraße 19-21, aber Gustav wohnte noch bis 1904 in der Josephstraße 5 in Kreuzberg. Dann zog er näher an das Zentrum und zu seinem Arbeitsplatz und wohnte für zwei Jahre (1905, 1906) in der Jerusalemstraße 11-12, nachdem Sally dort ausgezogen und an den Lützowplatz gezogen war. 1907 ging es weiter westlich nach Charlottenburg (Kantstraße 3,4), dann Rankestraße 8 (1910-1914) und dann für viele Jahre (bis 1929) in die Lietzenburgerstr. 51. Und schließlich 1930, ein Jahr vor seinem Tod, zog die Familie in den Grunewald (Siemensstr. 19-21), wo sie ein bereits vorhandenes Haus gekauft hatten: die wechselnden Adressen spiegeln eindrucksvoll den ökonomischen Aufstieg der Familie.

Egon Sally Fürstenberg

Egon Sally Fürstenberg nannte sich erst ab 1901 so, in den Jahren zuvor war sein Name in den Adressbüchern mit Sally oder (abgekürzt) mit S. Fürstenberg angegeben. Dazu weiß der Polizeipräsident einige Jahre später: „Nach den Registern heisst er mit Vornamen nur Sally und unterzeichnet sich auch vor Gericht so. Den Vornamen Egon hat er sich augenscheinlich willkürlich zugelegt …“ (11). Vermutlich war der Name Sally, auch wenn er modern klang, angelehnt an Salomon, und dies wiederum war Sally zu jüdisch, so dass er sich einen weiteren Vornamen gab.

Als Sally Fürstenberg geboren wurde (5. Februar 1860), wohnte die Familie noch in der Turmstraße in Alt-Moabit, aber schon im nächsten Jahr zieht sie ins sogenannte Scheunenviertel, dem traditionell jüdisch bewohnten Bezirk im Nordosten der Stadt (siehe Bild 7 in Teil 2) – dort bleiben sie für die nächsten 20 Jahre hängen mit den für Berlin typischen häufigen Wechseln der Mietwohnung, weil Nachwuchs kommt einerseits, weil die Mieten steigen andererseits. Solange Kinder kein Gymnasium besuchen, lassen sich genealogische Spuren in dieser Zeit kaum eruieren: Schulzeiten sind archivarisch normalerweise nicht dokumentiert (mit Ausnahme des Abiturs, das in den obligaten Jahresberichten der Gymnasien an die Kultusadministration dokumentiert ist, oder wenn schulinterne Zeugnis- und Versetzungsberichte in ein Archiv eingestellt wurden), Lehrzeiten noch weniger, und auch Arbeitsverhältnisse kaum, wenn sie nicht im öffentlichen Dienst waren.

Die Schule wurde in der Regel ab dem 6. Lebensjahr für 8 Jahre besucht, eine Kaufmannsausbildung dauerte mindestens 5 Jahre, also dürfte Sally mit etwa 14 oder 15 in eine Kaufmannslehre bei einer Firma eingetreten sein und mit 19 oder 20 dort seine Lehre angeschlossen haben – das wäre dann für ihn 1879 oder 1880. Nach Beendigung der Lehre trat er 1879 nachweislich bei der Firma Albert Rosenhain in Berlin eine Stelle an und wurde bereits nach wenigen Jahren (1888) vom Kaufmann Albert Rosenhain zu seinem Mitinhaber ernannt; außerdem gab der ihm die einzige Tochter Rose, geboren am 30. Januar 1868 in Berlin, zur Frau (1890) (Bild 14).

Bild 14: Heiratsurkunde des Sally Fürstenberg und der Rose Rosenhain vom 19. Juni 1890.

Im nächsten Teil werden wir die Geschichte der Familie Rosenhain rekonstruieren, hat doch der Name der Firma Albert Rosenhain für weitere 50 Jahre bestanden, auch als er längst in die Hände der Familie Fürstenberg übergegangen war.

Literatur:

11. Akte im Landesarchiv Berlin (A Pr. Br. Rep. 030 Nr. 12764) „betreffend die Firma Albert Rosenhain. Inhaber: Kaufmann Sally Egon Fürstenberg, Gustav Fürstenberg“, darin Blatt 7ff.

12. Deutschen Bundesbank: Kaufkraftäquivalenten historischer Beträge in deutschen Währungen seit 1810 – Gulden, Taler, Mark, Reichsmark, D-Mark (Stand: Januar 2022; siehe: https://www.bundesbank.de/resource/blob/615162/13c8ab8e09d802ffcf2e5a8ae509829c/mL/kaufkraftaequivalente-historischer-betraege-in-deutschen-waehrungen-data.pdf).

13. Rudolf Martin. Nachtrag zu den 12 Provinzbänden des Jahrbuchs der Millionäre im Königreich Preußen. Verlag Rudolf Martin, Berlin 1913.

14. Akte im Landesarchiv Berlin (A Rep. 342-02 Nr. 60363): Amtsgericht Charlottenburg, Handelsregister B „betreffend Albert Rosenhain GmbH“, darin Blatt 103-104.