Das Haus Fürstenberg am Lützowplatz – 9

Im Wiedergutmachungsverfahren Fürstenberg gegen die Firma Reiwinkel „Haus der Geschenke“ bzw. gegen dessen Kommanditisten Walter Koch war die Ausgangssituation eine etwas andere: 

Die Firma Reiwinkel im und nach dem Krieg

Das Geschäft in der Leipziger Straße 72-73 bis zur Niederwallstraße 13 war zwar im Krieg erheblich beschädigt worden (Bild 41), lag aber nach dem Krieg im sowjetischen Sektor der Stadt, und die Sowjets haben die Restitutionsanordnungen der westlichen Militärbehörden nicht mitgetragen; die 1949 gegründete DDR sah sich nicht als Rechtsnachfolger des Deutschen Reiches und hat daher die Wiedergutmachungsregelungen ebenfalls nicht für sich akzeptiert: die entsprechenden Gebäude und Grundstücke gingen vermutlich in Staatseigentum über (36).

Bild 41: Foto des Geschäftes der Firma Rosenhain in der Leipziger Straße 72/73 aus dem Jahr 1945. Hinter dem Haus rechts von Rosenhain sieht man die ebenfalls kriegsbeschädigten Kollonaden. Zum Vergleich siehe die Bilder 20 und 21 im Teil 5 (Quelle: Albert Rosenhain Collection im Leo-Baeck-Institut New York, Archiv Nr. AR 3272: mit freundlicher Genehmigung).

Das Geschäft am Kurfürstendamm 230/232 (Bild 42) war durch Bomben 1943/4 zerstört worden, Teile des Warenlagers im Wert von 170.000 Mark waren vor den anrückenden russischen Truppen gen Westen gebracht worden und landeten schlussendlich im niedersächsischen Bückeburg (zwischen Hannover und Bielefeld) im britischen Sektor, wo sie teilweise von der Armee bzw. der Luftwaffe 1945 beschlagnahmt worden war (49, Bl. 8f). Ein separates Klageverfahren der Fürstenbergs gegen diese Beschlagnahmung wurde dem Hauptverfahren zugeschlagen.

Bild 42: Das Geschäft „Rosenhain, Haus der Geschenke“ am Kurfürstendamm im Jahr 1936 (Beflaggung für die Olympischen Spiele) (Quelle: Albert Rosenhain Collection im Leo-Baeck-Institut New York, Archiv Nr. AR 3272: mit freundlicher Genehmigung).

Der Reiwinkel-Teilhaber Ludwig Reisse war am 7. Mai 1943 aus der Firma ausgeschieden, und der Teilhaber Fritz Grawinkel war am 11. August 1944 bei einem Bombenangriff in Berlin ums Leben gekommen. Seine Witwe Gertrud Grawinkel lebte bei Kriegsende in Erkelenz (bei Düsseldorf) und registrierte am 9. Dezember 1957 die Firma Reiwinkel in Düsseldorf (Königsallee 98), aber schon zwei Jahr später überlies sie die Firma Reiwinkel Walter Koch allein, der sie im Jahr 12. November 1959 zurück nach Berlin verlegte, jetzt mit seiner Frau Hildegard geborene Hoffmann als Geschäftsführerin (50). Bis 1964 versuchte die Firma noch, in Berlin Geschäftsräume am Kurfürstendamm anzumieten oder zu kaufen, dann wurde sie auf Drängen der Industrie- und Handelskammer (51, Bl. 5,18,25,27) am 12. Dezember 1964 im Handelsregister gelöscht (52). In dieser ganzen Zeit lief gegen Koch und die Firma der Wiedergutmachungsanspruch der Fürstenbergs. Die wurde auch in diesen Verfahren durch den Rechtsanwalt (RA) Hans-Georg Tovote, Berlin vertreten, der ihr Familienanwalt bereits vor dem Krieg war und der auch der Testamentsvollstrecker für das Testament von Gustav Fürstenberg war (siehe Teil 6). Walter Koch wurde vom Rechtsanwalt (RA) Hermann Reuss aus Berlin vertreten.

Die gleichen Argumente, ein ähnlicher Ton

Die Ausgangssituation war, wie gesagt, eine andere und weitaus klarer: Der Prozess der Arisierung („Entjudung“ wurde dies in der Zeit genannt) war, anders als bei Kauf des Wohnhauses durch den VbK, mit dem Ziel gemacht worden, jüdische Gewerbebetriebe zu enteignen, und dafür wurden „arische“ Käufer gesucht, die nach Möglichkeit den Gesamtkomplex und nicht nur Teile davon übernehmen sollten und wollten. Dass, wie im Falle von Walter Koch, dabei auch noch Devisen (englische Pfund) in die deutsche Kriegskasse kamen, war keineswegs von Nachteil, ganz im Gegenteil. Und dass Walter Koch und sein bislang unbekannter Bruder in England zu diesem Zeitpunkt und kurz vor dem Krieg nicht wohlgelitten waren, hatte schon die deutsche Handelskammer in London bestätigt (siehe oben Teil 6). Wären sie mit ihrem Geld bis nach Kriegsausbruch September 1939 in England geblieben, wäre nicht nur ihr Geldtransfer nach Deutschland unmöglich geworden, sondern sie wären vermutlich auch als „Alien enemies“ in England interniert worden.

Walter Koch hatte im Übrigen „vorgesorgt“: Noch bevor Klagen der Familie Fürstenberg 1949 aktenkundig wurde, hatte in seinem Auftrag ein Wirtschaftsprüfer namens Dr. habil. Waldemar Koch, Berlin (Bayrische Straße 6), am 26. Juni 1948 ein 61-Seiten langes Gutachten (nebst 48 Seiten Dokumentenanhang) erstellt (53), in dem all die Argumente, die auch später im Wiedergutmachungsverfahren aufgefahren werden, bereits prophylaktisch und im Sinne des Walter Koch abgehandelt werden. Dieses Gutachten spielt allerdings im späteren Prozess kaum keine Rolle, nicht zuletzt, weil es ein Parteiengutachten war, das zwei Jahre vor Prozessbeginn erstellt wurde – ein Schelm, wer Böses dabei denkt. 

Ohne auch nur die Vorgeschichte der Firma Reiwinkel in Betracht zu ziehen, widerspricht RA Reuss dem Rückerstattungsanspruch (am 27. Oktober 1950): „Es ist schlechterdings unerfindlich, wie dieser Rückerstattungsanspruch begründet sein sollte. Das Unternehmen in „Firma Reiwinkel ‚Das Haus für Geschenke‘ Reisse & Grawinkel K.G.“ war zu keiner Zeit Bestandteil des Vermögens der Antragsteller oder ihrer Rechtsvorgänger. Daher kann es sich hierbei auch nicht um ihnen entzogenes Vermögen‘ handeln, das ihnen zurückzuerstatten wäre. Was einem Antragsteller niemals gehört hat, kann ihm weder ‚entzogen‘ worden sein noch ‚zurückerstattet‘ werden“ (54, Bl. 5-7) – blauäugiger geht es kaum.

Ein dubioser Charakter: Walter Koch

Sein Mandant, Walter Koch, befand sich zu diesem Zeitpunkt in Wildbad/Schwarzwald (Eiberg 1), aber dem Anwalt lag natürlich das Gutachten Koch (53) vor. Auf dessen Basis behauptete RA Reuss in einem 30-seitigen Schriftsatz vom 24. Oktober 1950 (55, Bl. 111-125) unter anderem, dass er gemäß den Vorschriften des Militärgesetzes Nr. 59 (56) belegen kann, dass die Fürstenbergs einen angemessenen Kaufpreis erhalten haben, dass sie darüber frei verfügen konnten, und dass Walter Koch „in besonderer Weise und mit wesentlichem Erfolg den Schutz der Vermögensinteressen“ der Fürstenbergs wahrgenommen hat, insbesondere durch Mitwirkung bei der Übertragung ihres Vermögens ins Ausland (55, Bl. 112f). Ferner wird behauptet, dass die Übernahme der Firma Rosenhain durch Koch und zwei Kompagnons im Jahre 1938 ein reines Verlustgeschäft gewesen sei: Statt den 57.000 britischen Pfund, die 1938 einem Devisenwert von etwa 2,5 Millionen Reichsmark (RM) entsprachen, hätte Koch in das Geschäft – direkt und indirekt – rund 6 Millionen RM investiert (55, Bl. 114); dem ständen übertragene Sachwerte in Höhe von netto 4,3 Mio. RM gegenüber. Auch hätte Walter Koch in England mit den investierten 57.000 Pfund weit mehr Profit machen können, hätte er die Aktien nicht verkauft, und die übernommene Firma Rosenhain habe im Übrigen in den Jahren zuvor nur Verluste eingefahren – daher, so der Tenor, habe er den Fürstenbergs, die sich schließlich an ihn gewandt hatte, eigentlich nur einen Gefallen getan mit der Übernahme der Firma. Dass ihnen das Geld nicht ausgezahlt worden sei, sei schließlich eine Angelegenheit der deutschen Behörden gewesen: rückständige Steuerzahlungen einerseits, Verhinderung von Geldtransfer ins Ausland andererseits, jenseits von politisch motivierten Strafzahlungen für Juden wie der Reichsfluchtsteuer und den sogenannten „Sühnezahlungen“ nach der Reichspogromnacht – dafür sei Koch nicht verantwortlich zu machen. RA Tovote hatte dieser Argumentation zuvor widersprochen (55, Bl. 78-110), führte die monatlichen Mieteinahmen der Augsburger Straße 34 an und die Gewinne von Rosenhain, die Steuerpflichten von Rosenhain, und korrigierte Angaben zum Verlauf der Gespräche und Transaktionen 1938, zur Übernahme der holländischen Firma Reveillon 1942 und vieles mehr. 

Die Rückübertragung und die Rücknahme der Rückübertragung

Die Argumentation von RA Reuss verfing bei Gericht nicht, und es deutete sich früh an, dass das Kammergericht, im Hinblick auf das Grundstück Augsburger Straße 34, eine Teilentscheidung (Rückübertragung) für möglich hielt. Auf diesem Grundstück stand ein nicht-beschädigtes Wohnhaus, das bis zu diesem Zeitpunkt auch Mieteinnahmen hatte und einen Grundwert vom 110.000 RM. Mit Datum vom 7. November 1950 erließ die Wiedergutmachungskammer des Landgerichts Berlin eine Teilentscheidung über eine Rückübertragung des Grundstücks unabhängig von Fragen in der Hauptsache mit sofortiger Wirkung (55, Bl. 141). Die Umschreibung im Grundbuch auf die Familie Fürstenberg wurde angeordnet, die dort eingetragene Hypothek blieb bestehen. In einer Ergänzung zum Urteil notierte der vorsitzende Richter, dass RA Tovote zusätzliche Urkunden und Abschriften in einer „grünen Sammelmappe“ zu den Akten gegeben habe (55, Bl. 142) .

In einer ausführlichen Stellungnahme mit sofortiger Beschwerde gegen dieses Urteil machte Kochs Rechtsanwalt Reuss erheblich verfahrensrechtliche Bedenken, unter anderem im Hinblick auf die „grüne Mappe“ geltend (55, Bl. 177ff), die dem Gericht erst nach Schluss der mündlichen Verhandlung überreicht worden sei (55, Bl. 180). Diese Argumentation veranlasst das Gericht, den Beschluss mit Datum vom 20. Mai 1952 wieder zurückzunehmen (55, Bl. 260) und in der Hauptsache weiter zu verhandeln.

In der Hauptsache (55, Bl. 260-277; 56; 57) ging es dann um zwei Argumentationslinien: Zum einen um die Frage, ob und warum die Fürstenberg Familie kein Geld aus dem von Koch bezahlten Kaufpreis bekommen habe, sondern dieser von den deutschen Finanzbehörden einbehalten worden war. Zum anderen darum, ob Koch dieses Kaufgeschäft guten Glaubens abgeschlossen habe (so, wie vermeintlich der VbK) oder ob er in Kenntnis der Zwangslage der Familie Fürstenberg gehandelt habe. Beide Parteien nutzen die wenigen Gerichtstermine ausgiebig, entweder die vielen dokumentarischen Belege aus der Arisierungsgeschichte 1938 (s. oben, Teil 6) zu präsentieren (RA Tovote), oder die finanzpolitischen und ökonomischen Implikationen des Erwerbs 1938 zu diskutieren, mit Gutachten von Bank- und Finanzexperten (RA Reuss, dem inzwischen weiterer Rechtsanwälte zur Seite standen, RAe Osthoff und Rapp aus Bielefeld).

Da uns über die persönliche Situation des Walter Koch bislang wenig bekannt ist, und Gerichtsakten diesbezüglich kaum Informationen enthalten, sind wir an dieser Stelle in dieser Frage auf wenige Vermutungen angewiesen. Dazu gehört die oben angeführte Behauptung, dass die Gebrüder Koch ihr in England angelegtes Vermögen im Deutschen Reich in Sicherheit bringen wollten; dazu gehört auch, dass Walter Koch, der in den Arisierungsakte bis 1938 mit einer vagen englischen Adresse (Fulmer, England) auftrat, zwar ausweislich der Akten immer wieder betonte, in England bleiben zu wollen, der aber – da deutscher Herkunft – nach dem Kauf nicht nach England zurückkehrte, sondern seinen Wohnsitz in Berlin nahm. Die wenigen biografischen Informationen, die wir bis heute erhaben sammeln können, sprechen ebenso dafür.

Die finale Entscheidung der Kammer zur Rückerstattung (55, Bl. 260ff) wurde vom Obersten Restitutionsgericht Berlin (ORG) (56, Bl. 12-23) am 13. Juli 1955 bestätigt, aber auch korrigiert: Die Rückerstattung habe an die wieder existierte frühere Eigentümerin des streitigen Grundstücks, die Wohnstätte Kurfürstendamm AG zu erfolgen und nicht an die derzeitigen Mitglieder der Familie Fürstenberg (56, Bl. 23).

Auch hier wird hinter verschlossenen Türen verhandelt

Wie im Prozess gegen den VbK wird auch im Prozess gegen Walter Koch parallel zum Gerichtsverfahren quasi „privat“ weiterverhandelt (43: Bl. 163), und auch hier kommt es überraschend und im letzten Moment zu einem Vergleich, den die Parteien am 6. November 1957 dem Gericht zur Kenntnis geben (57, Bl. 117-119). 

Danach zahlte Walter Koch der Familie Fürstenberg den Betrag von 1.095,800 DM, im Gegenzug verzichtete die Familie Fürstenberg auf alle Ansprüche auf Rückübertragung der Grundstücke Kurfürstendamm, auf Erstattung der Mieteinnahmen, und bestätigte die Löschung der Rückübertragung Augsburger Str. 34. Ansprüche auf Entschädigung nach dem Bundesentschädigungsgesetz verblieben bei den Fürstenbergs, Treuhänderguthaben aus den drei Grundstücken verblieben bei Walter Koch.

Ende gut – Alles gut?

Im nächsten und letzten Teil der Geschichte werden wir uns mit der Frage auseinandersetzen, ob dies nun ein gutes oder ein nicht-so-gutes Ende der Geschichte des Hauses Fürstenberg am Lützowplatz ist.

Literatur

49: Akte des Landesarchivs Berlin (LAB): B Rep. 025-06 Nr. 616/51

50: LAB: A Rep 342-02 Nr. 21057,21058

51. LAB: A Rep 342-02 Nr 21056

52. LAB: A Rep 342-02 Nr. 21059, 21061

53. LAB: B Rep 025-04 Nr. 482/49 (4)

54. LAB: B Rep 025-06 Nr. 891/50 

55. LAB: B Rep 025-04 Nr. 482/49 (2)

56. https://de.wikipedia.org/wiki/Militärregierungsgesetz_Nr._59

57. LAB: Akte B Rep 025-06 Nr. 482/49 (3)

Stille Zeichen

Gestern, am 9. November 2023, gedachten wir der Opfer des Holocaust zum 85. Mal.
Es gibt über siebzig Stolpersteine hier im Kiez. Menschen aus der Nachbarschaft haben für die Steine Patenschaften übernommen. Sie behalten die Steine im Auge, putzen sie und schmücken sie mindestens zwei Mal im Jahr (5. Mai und 9. November).

Gestern gab es überraschender Weise weiteren Schmuck in Form von Blumengestecken – wunderbare Gesten von Unbekannten, die den Stadtraum zumindest für einige Stunden veränderten und an die Pogromnacht und die Verfolgung von Jüdinnen und Juden, von Widerstandskämpfer:innen und anderen Marginalisierten des Nationalsozialismus erinnern ließen.

Leider war der Kerzen- und Blumenschmuck nach einigen Stunden verschwunden – doch die Steine glänzen weiterhin.

Danke an alle, die so für einige Stunden Zeichen der Anteilnahme an die Verfolgten des NS-Regimes setzten.

(Fotos: Susanne Regener / Stolpersteine im Bereich der Genthiner Straße und Lützowstraße)

Jüdisches Leben in Tiergarten Süd:  Fernsehdiskussion auf TV Berlin

Anlässlich des Jahrestages der Reichspogrom-Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 einerseits, und den antisemitischen Ausschreitungen auch und gerade in Berlin nach dem Überfall der Hamas auf Israel vom 7. Oktober und den bereits jetzt Gaza-Krieg genannten Auseinandersetzungen seitdem, ist das Interesse an jüdischem Leben gestern und heute groß und erreichte auch die Redaktion von Mittendran. Nach Anfrage des Privatsenders TV Berlin sprach Prof. Dr. Paul Enck am Dienstag, den 8.11. um 18:00 Uhr in der Sendung „Brinkmann & König“ über jüdisches Leben in Berlin vor 1933, insbesondere in Tiergarten Süd, und berichtete von seinen Recherchen aus dem Lützow-Viertel, deren Ergebnisse in diesem Blog sowie bei www.mittendran.de nachlesbar sind. Der Link zur Sendung, die bis auf Weiteres auf YouTube zu sehen ist, ist hier: https://youtu.be/tJzcnX1wRGs.

Im Studio bei TV Berlin: Ewald König, Paul Enck, Peter Brinkmann (v.li.)

Gedenken „In Demut erinnern“

Am 9. November jährt sich die Reichsprogromnacht, welche in der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 Angst und Schrecken in der jüdischen Bevölkerung verbreitete.

Die SPD Tiergarten Süd lädt zu einem Gedenken an dem Ort in der Lützowstraße ein, wo einst die erste Gemeindesynagoge in Berlin stand.

Gedenken „In Demut erinnern“, am Do 9.11.2023, 19 Uhr
Lützowstraße 16, 10785 Berlin (heute Umspannwerk)

Das Haus Fürstenberg am Lützowplatz – 8

Im Wiedergutmachungsverfahren Fürstenberg gegen den Verein Berliner Künstler (VbK) wurden die Angehörigen der Familie Fürstenberg durch den Rechtsanwalt (RA) Hans-Georg Tovote, Berlin vertreten, der ihr Familienanwalt bereits vor dem Krieg war und der auch der Testamentsvollstrecker für das Testament von Gustav Fürstenberg war (siehe Teil 6). Der VbK hatte dem Rechtsanwalt (RA) Georg Graul aus Berlin Vollmacht gegeben, seine Angelegenheit zu vertreten.

Runde Eins: Der Ton macht die Musik

Den Auftakt machte RA Tovote in seinem Schriftsatz vom 18. Juli 1950, in der er den VbK als „Rechtsnachfolger eines Nazi-Vereins gleichen Namens“ titulierte (41, Bl. 37). Das hat den vermutlich geschmerzt, weil es nicht der Nachfolger, sondern der gleiche Verein war, den es schon seit 1841 gab (siehe Teil 7); der befand sich aber zumindest seit 1938 fest in der Hand der Nationalsozialisten (39). Der Verweis auf die letzte große Ausstellung des Juden Max Liebermann im Jahre 1927, mit dem RA Graul den Vorwurf zurückwies, half da wenig, Legitimation herzustellen (41, Bl. 90). Stattdessen stilisierte sich Graul selbst als „Opfer der nationalsozialistischen Unterdrückungsmaßnahme“ (41, Bl. 87) und bezweifelte gleichzeitig, dass die Fürstenbergs sich 1938 in einer Zwangslage befunden hätten. 

Dem Prinzip nach war alles strittig, was die Fürstenbergs im Wiedergutmachungsverfahren ab 1948 – zehn Jahre nach ihrer faktischen Enteignung – vorbrachten, vielleicht mit Ausnahme des für das Haus bezahlten Kaufbetrages von 370.000 Reichsmark: dass der Verkauf unter Zwang für die Familie stattfand, dass der Kaufpreis unangemessen war, und dass die Familie Fürstenberg dieses Geld nie erhalten habe. Im Originalton des Anwaltes klang das so: „Inwieweit der Grundstücksverkäufer sich wirklich in einer Zwangslage befunden hat oder sich in einer solchen glaubte, kann – und konnte damals – der Verein nicht übersehen. Dem Verein gegenüber ist jedenfalls diese Zwangslage vom Verkäufer selbst durch eine freiwillige Handlung des Verkaufes unterbrochen worden, indem er nicht etwa einen Käufer an sich herantreten ließ, sondern durch einen Makler dem Verein das Grundstück von sich aus zum Kaufe anbot“ (41, Bl. 88). Mit anderen Worten: Echte Opfer verhalten sich passiv, wer sein Schicksal in die eigene Hand nimmt, verliert die Glaubwürdigkeit.

Im Prinzip verfolgen Rechtsanwälte keine eigenen Interessen (jenseits ihrer Gebührenordnung, die sich über den Streitwert bestimmt), sondern drücken mit ihrer Position die Ansicht ihrer Mandanten aus. In den wenigen Unterlagen des VbK, die wir dazu einsehen konnten, findet sich daher der gleiche aggressive Ton, z.B. in dem oben erwähnten Bericht des Vereinsvorsitzenden Arthur Hoffmann an die Mitglieder von 1956 („… da die Gegner behaupten, keinen Pfennig erhalten zu haben, da der Kaufpreis seinerzeit auf ein Sperrkonto gezahlt werden mußte …“) (37).

Interessant ist, dass die Parteien jenseits ihres Gerichtsstreites immer auch parallel direkt miteinander verhandelt hatten und dies den Akten nicht zu entnehmen ist, solange kein Vergleichsvorschlag zu Protokoll gegeben wird. Ein erster solcher Vergleich wurde gerichtsprotokolliert am 7. November 1950, wonach der VbK der Familie Fürstenberg eine Zahlung von 40.000 DM als Nutzungsentschädigung für die Zeit 1938 bis 1943 anbot, um endgültig Eigentümer zu werden – dies nahmen die Fürstenbergs nicht an. In einem privaten Gegenangebot sollte der VbK noch 100.000 DM an die Familie zahlen, um Mitbesitzer des Hauses zu werden – dies lehnt der VbK ab, nachdem klar wurde, dass dies – trotz Zahlung – auch den Verlust des Gebäudes bedeutete (37). Die Parteien erklärten am 19. September 1952 den Vergleich für gescheitert (41, Bl. 130), und die Verhandlungen gingen in die zweite Runde.

Runde Zwei: Alles ist strittig

Strittig aufgearbeitet werden mussten zunächst die Enteignungsdaten von 1938 und finanziellen Regelungen, mit denen das Deutsche Reich sich des Vermögens der Fürstenberg bemächtigt hatte – bis hin zur Frage, ob über den Kaufpreis überhaupt verfügt werden konnte. Dazu legten die Fürstenbergs viele im Arisierungsverfahren angefallenen Dokumente, Verträge und Verordnungen vor, die – mit Sicherheit – dem VbK zu diesem Zeitpunkt erstmals zu Gesicht kamen.

Als das 1953 Gericht erwog, im Rahmen eines Teilbeschlusses eine Rückübertragung des Grundstücks anzuordnen, legte RA Graul letztmalig eine Stellungnahme vor, in der der das Gericht auf die Notwendigkeit eines „gerechten Ausgleichs“ zwischen den Antragsparteien hingewiesen wurde (42, Bl. 133ff) – offenbar war er selbst nicht in der Lage, dies zwischen den Parteien zu vermitteln. Stattdessen trat ein neuer Anwalt, Dr. Walter Fuhrmann, Berlin auf den Plan (42, Bl. 139), der die weitere Vertretung des VbK übernahm (12. November 1953). RA Fuhrmann verwies unmittelbar auf die vergleichbare Situation der Antragsteller Fürstenberg im parallelen Prozess Fürstenberg gegen Walter Koch (s. unten, WGA-2), bei dem eine Teilentscheidung des Kammergerichts über einer Rückübertragung des Grundstücks Augsburgerstraße 34 im Mai 1952 wieder rückgängig gemacht wurde (43, Bl. 260) und warnte davor, RA Tovote argumentierte dagegen und nannte die Rückerstattungspflicht „absolut entscheidungsreif“ (41, Bl. 166). 

Runde Drei: Sanierung oder Abriss nach dem Krieg

Als die Wohnungen im Hause Lützowplatz 9 im Jahr 1954 baupolizeilich gesperrt wurden (41, Bl 174), forderte RA Tovote am 19. Mai 1954 Ortstermin, Sachverständigengutachten und wegen „Gefahr im Verzug“ eine Änderung der Hausverwaltung. Der Ortstermin unter Beteiligung des Architekten Prof. Sagrekow am 10. Juni 1954 ergab hingegen nur einen gesperrten Raum, ansonsten unfertiger Umbauzustand, und die Parteien einigten sich auf erneute Vergleichsverhandlungen. 

Strittig war nach wie vor der Zustand des Gebäudes nach den Bombardierungen 1943, der Grad der Zerstörung und der Aufwand, der zur Nutzung des Gebäudes als Ausstellungsraum betrieben wurde – allein über diese Kosten gibt es fünf Verfahrensbeiakten (44). Es wurden Gutachten zum Bauzustand 1945 eingeholt, die zum Ergebnis kamen, dass die Zerstörung mehr als 60 bzw. „nur“ 44% betrugen – der Unterschied bedeutete Abriss oder Sanierung (45, Bl. 224) (Bild 40). Es wurden unterschiedliche, alte und aktuelle Verkehrswerte des Grundstücks berechnet und vorgetragen (weniger als 150.000 DM versus 210.000 DM und mehr), entstandene Schäden während des Krieges (45, Bl. 291) und die getätigten Auswendungen des VbK vor Ort begutachtet (46, Bl. 58ff), argumentiert, inwieweit sie werterhaltend oder wertsteigernd waren, getrennt nach Kosten in Reichsmark während des Krieges, und vor und nach der Währungsreform 1948 sowie gegenwärtig (1953).

In der Wahrnehmung des VbK (37) hatte der Verein das Gebäude (bei mehr als 60% Zerstörung) entgegen der Vernunft vor dem Abriss gerettet, daher müsse ihm, bei Rückgabe an die Familie Fürstenberg, diese Kosten erstattet werden, ebenso die Ablösung einer Hypothek.

Bild 40: Selbst Bilder sind nicht immer objektiv, sondern können zugunsten der einen oder der anderen Position herangezogen werden. Das linke Bild (aus: 37) zeigt das Haus und seine Zerstörung nach Kriegsende 1945, und man hat den Eindruck, dass hier nur Abriss hilft. Das rechte Bild (aus: 48) zeigt das Haus nach Räumung des Schutts, vermutlich also Anfang der 50er Jahre und vermittelt den Eindruck einer Beschädigung, die man reparieren kann – was ja dann letztlich auch passiert ist.

Das Finale: Der Vergleich

Gemessen an der gerichtlichen Auseinandersetzung in den drei Phasen, die wir oben berichtet, hätten wir erwartet, dass der Vergleich ein Kompromiss zwischen den Parteien ist; leider haben wir keine Dokumente, die den „privaten“ Verhandlungsprozess zwischen den Parteien dokumentieren. Unabhängig davon entschied das Landgericht am 6. November 1959 nach mündlicher Verhandlung am 28. September und präsentierte eine Teilentscheidung (47, Bl. 11ff) – zu diesem Zeitpunkt hatte der VbK offenbar einen neuen, dritten Rechtsvertreter bestellt, RA Dr. Gregor, Berlin.

Danach wurde die VbK verurteilt, das Grundstück Lützowplatz 9 sowie das 501qm große Zwischenstück (siehe oben, Teil 7) zurückzuerstatten (d.h. die Grundstücke mussten im Grundbuch umgeschrieben werden), und etwaige Kriegssachschädenersatzansprüche und Lastenausgleichsansprüche abzutreten. Eine bestehende Hypothek auf dem Grundstück bleibe bestehen und würde der Familie Fürstenberg als Gesamtschuldner übertragen. Außerdem müsse sie dem VbK Kosten in Höhe von 77.700 DM zzgl. 4 % Zinsen seit dem 1. Januar 1960 zahlen. Dazu solle eine Hypothekenlast in gleicher Höhe auf dem Grundstück eingetragen werden. Weiterhin wurden die Fürstenbergs verurteilt, dem VbK alle Rückerstattung- und Entschädigungsansprüche abzutreten, wenn in entsprechenden Verfahren festgestellt wird, dass solche Ansprüche bestehen. Und jetzt erst kam es zum Vergleich.

Der Vergleich

Die Rechtsanwälte Tovote und Gregor formulierten in einem Eilbrief (41, Bl. 167) am 15. November 1960 an das Kammergericht: Der VbK wolle das Grundstück vorbehaltlich eines Vergleiches weiterveräußern an den Förderkreis Kulturzentrum Berlin e.V., der 1960 zu diesem Zweck von Berliner Sozialdemokraten unter Leitung von Willy Brandt (1913-1992) gegründet worden war (48); man bitte um einen Vergleichstermin beim Kammergericht. Dort verzichteten die Fürstenbergs auf ihren Rückerstattungsanspruch und auf die Rechte aus dem Beschluss vom 28. September 1959 auf das Grundstück Lützowplatz 9, übertrugen das Eigentumsrecht daran und an die 501qm großen Parzelle an den „Förderkreis Kulturzentrum Berlin e.V.“, der das Grundstück Lützowplatz 9 vom VbK erwerben wollte. Im Gegenzug zahlte der VbK an die Familienmitglieder Fürstenberg den Betrag von 100.000 DM. Etwaige Lastenausgleichsansprüche verblieben beim VbK, Ansprüche aus dem Bundesentschädigungsgesetz (wegen der Nicht-Verfügbarkeit des Kaufpreises von 370.000 RM im Jahr 1938) verblieben bei der Familie Fürstenberg.

Der Verkaufsvertrag zwischen dem VbK und dem Förderverein vom 22. November 1960 (45, Bl. 435) sah einen Kaufpreis von 271.507,88 DM vor, davon sollten 100.000 DM an die Familie Fürstenberg überwiesen werden, der Förderverein übernahm die eingetragene Grundschuld von insgesamt 42.000 DM, die verbleibenden 128.000 sollten an den VbK überwiesen werden.

Literatur

Vorbemerkung: Es gibt im Landesarchiv Berlin insgesamt über 30 Akten in den Wiedergutmachungsverfahren der Familie Fürstenberg, mit insgesamt weit über 1500 Blatt, die dieser Auswertung zugrunde liegen. Der Verweis auf einzelne Aktenseiten wird dadurch erschwert, dass viele dieser Akten die gleiche Archiv-Nummerierung tragen (z.B. B Rep. 025-05 Nr. 204/49), die aber oft unterschiedlichen Gerichtsprozess-Akten zugewiesen wurde (z.B. Beiakte 1 bis 10.). Innerhalb einer Akte sind die Seiten nummeriert. Die Zitation erfolgt daher mit Angabe der Seitennummerierung im Text (z.B. 41, Bl. 167)

41. Akte B Rep 025-05 Nr. 204/49 (1)

42. Akte B Rep 025-05 Nr. 204/49 (2)

43. Akte B Rep 025-04 Nr. 482/49 (1) 

44. Akte B Rep 025-04 Nr. 482/49 (5) bis (10)

45. Akte B Rep 025/05 Nr. 204/49 (3)

46. Akte B Rep 025-05 Nr. 204/49 (2)

47. Akte B Rep 025-05 Nr. 5723/5048.

48. https://de.wikipedia.org/wiki/Haus_am_Lützowplatz

Gedenktafel für Erich Reiss

Am 2. November kamen rund 30 Menschen in die Wichmannstr. 9 in Tiergarten, dem früheren Wohnort des jüdischen Verlegers Erich Reiss. Nach der Begrüßung durch Nora Hogrefe, Aktives Museum, sprach Sarah Wedl-Wilson, Staatssekretärin für Kultur, in Vertretung des Kultursenators ein Grußwort. Sie betonte die Bedeutung des verlegerischen Wirkens von Erich Reiss, der am 1. Februar 1887 in Berlin geboren wurde. Erich Reiss verlegte Autoren wie Egon Erwin Kisch, Gottfried Benn und viele andere. Nach kurzer Haft im KZ Sachsenhausen konnte er durch Engagement der schwedischen Autorin Selma Lagerlöf und anderer 1939 in die USA emigrieren, wo Erich Reiss 1951 starb.

Sarah Wedl-Wilson, Staatssekretärin für Kultur, beim Grußwort

Anschließend sprach Georg Friedrichs, Vorstandsvorsitzender der Gasag AG. Friedrichs bekannte sich zum Engagement des Gasversorgers gegen Antisemitismus. Die Gasag ist ein wichtiger Förderer der Berliner Gedenktafeln.

Georg Friedrichs, Vorstandsvorsitzender der Gasag AG

Die Laudatio hielt der Berliner Verleger Dieter Beuermann mit sehr viel Wissen über die Persönlichkeit von Erich Reiss, der seinem Freund Gottfried Benn sogar dessen antisemitische Ausfälle nachsah. Erich Reiss sei ein mutiger Verleger gewesen, der sein Vermögen dafür einsetzte, Autoren und Bücher zu verlegen, die ihm am Herzen lagen. Dieter Beuermann geriet ins Schwärmen über kunstvoll illustrierte Bücher, die heute begehrte Raritäten seien. Erich Reiss habe Weltliteratur verlegt.

Der Verleger Dieter Beuermann hielt die Laudatio auf Erich Reiss

Gäste der Gedenktafel-Enthüllung in der Wichmannstraße

Die Gedenktafel für Erich Reiss

Das Haus Fürstenberg am Lützowplatz – 7

Bereits vor dem Tode von Sally Fürstenberg im Juni 1942, spätestens aber nach seinem Tod zogen seine vier Söhne in alle Welt und brachten sich vor den Nazis in Sicherheit. Während und am Ende des Krieges waren sie mit ihren Familien in Ägypten, England, Rhodesien, der Schweiz und den USA, und sie stellten bereits 1948 gemeinsam und konzentriert Anträge auf Restitution ihrer Vermögenswerte, deren Darstellung hier die Familiengeschichte der Familie Fürstenberg beschließen soll. Zuvor jedoch wollen wir ihre jeweils persönlichen Geschichten nacherzählen, soweit wir sie rekonstruieren konnten. Wesentliche Grundlage dafür war ein Bericht, den Paul Fürstenberg dem Leo-Baeck-Institut zur Verfügung stellte (28). Die genealogischen Angaben sind – wie meist – durch Michael Schemann komplettiert worden.

Die Söhne des Egon Fürstenberg

Der Erstgeborene, Paul Philip Hans Fürstenberg, geboren am 30. Juli 1900, heiratete am 26. März 1929 in Berlin Maria Margot Birnholz, geborene Brodnitz, geboren am 10. Januar 1905 in Berlin. Sie war von 1923 bis 1929 verheiratet gewesen mit Joseph Birnholz, und Sophie Birnholz, die Ehefrau von Gustav Fürstenberg (siehe Teil 3), war dessen Schwester. Er (Paul) verbrachte die Kriegszeit in England und führte dort die englische Niederlassung der Firma Reveillon gemeinsam mit seinem Bruder Ulrich. Er ließ sich von seiner Frau scheiden und wanderte wie Ulrich nach Rhodesien aus, vermutlich, um der Internierung in England während des Krieges zu entgehen (Bild 35). In Rhodesien heiratete er am 25. September 1950 Edith Ida Baer, die am 10. Februar 1915 in Worms geboren worden war; seine erste Frau heiratete in England erneut im November 1943 einen bekannten Cricketspieler. Paul und Edith Fürstenberg wanderte in den 50er Jahren in die USA aus, wo sie am 22. November 1966 naturalisiert wurden und sich dann Forbes nannten. Paul Forbes starb am 8. November 1979 in Oakland (Kalifornien), seine Frau verstarb dort am 23. Dezember 2005. In seiner Vermögenserklärung von 1938 (siehe Teil 6) hatte Paul Fürstenberg darauf hingewiesen, dass er zwei minderjährige Kinder habe, Helga Pauline Birnholz (aus der ersten Ehe seiner Frau), geboren am 6. September 1924, und Stephan Egon Albert Fürstenberg, geboren am 18. Mai 1930 aus der Ehe mit Maria Birnholz. Mit seiner zweiten Frau hatte er ein weiteres Kind, dessen Identität bislang geschützt ist.

Bild 35: Biografische Daten der Maria Margot Birnholz, geborene Brodnitz, insbesondere zu ihrem Internierungsaufenthalt auf der Isle of Men 1940-1941. Sie war zu diesem Zeitpunkt geschieden und heiratete 1943 erneut (Quelle: https://www.imuseum.im/search/collections/people/mnh-agent-99845.html)

Der zweitälteste Sohn, Werner Fritz Fürstenberg, geboren am 1. August 1903 in Berlin, zog 1933 nach Holland und heiratete dort am 29. Mai 1936 Käthe Ruth Smoszewski, geboren am 22. Mai 1913 in Posen (Bild 36). Werner leitet das Geschäft in Amsterdam, bis dieses – nach dem Einmarsch der deutschen Armee in den Niederlanden – konfisziert und von der Firma Reiwinkel übernommen wurde, die auch das Geschäft der Firma Rosenhain in Berlin übernommen hatte. Werner und Käthe Fürstenberg hatten zwei Kinder; ihre Tochter Madeline Rose wurde am 2. Oktober 1937 in Amsterdam geborenen, für ein weiteres Kind sind die Geburtsdaten nicht freigegeben. Die Eltern flohen 1942 in letzter Minute vor der Deportation aus Holland in die Schweiz und ließen ihre Tochter bei Freunden in Holland zurück. Sie wurden nach dem Krieg repatriiert und lebten in Amstel, wo Werner Fürstenberg am 15. Februar 1971 verstarb und seine Frau am 20. November 2003 in Amstelveen. Ihre Tochter Madeline war bereits am 3. März 1972 im Alter von nur 34 Jahre verstorben.

Bild 36: Werner Fritz Fürsternberg und seine Käthe Ruth, geborene Smoszewski (Quelle: Ancestry, Fotograph unbekannt um 1935).

Ulrich Ernst Rolf Fürstenberg, geboren am 15. August 1906 in Berlin, übernahm 1936 die Leitung einer Firma Rivoli in London, die 1941 durch deutsche V2-Bomben zerstört und nicht wieder aufgebaut wurde. Aufgrund seiner Auswanderung wurde er seiner deutschen Staatsangehörigkeit verlustig erklärt. Er heiratete Hilde Eloise Klembt, geboren am 29. Juli 1915 in Bremen. Im Mai 1947 wanderte die Familie nach Rhodesien aus und nahm den Namen Ralph Ernest Forbes an. Ulrich und Hilde Forbes hatten einen Sohn, Roy Ralph Forbes, geboren am 17. Dezember 1947, der 1998 in Leeds, England verstarb. Irgendwann zwischen 1949 und 1988 wanderte die Familie nach Oregon, USA aus, wo Ulrich als Farmer tituliert wird. Ulrich Forbes starb in Turner, OR am 6. Juni 1988, seine Frau verstarb am 31. Oktober 2004 ebenfalls dort.

Der jüngste Sohn der Fürstenbergs, Hellmuth Joachim Moritz, geboren am 7. Juli 1908, wanderte 1937 nach Ägypten aus und leitete dort die Geschäfte der Firma Reveillon bis nach dem Krieg. Er heiratete Sylvia Low, geboren am 20. März 1904 in Vancouver, British Columbia, Kanada, die am 14. Dezember 1966 in Los Angeles, USA starb. Das Ehepaar hatte zwei Töchter: Rosanne J. Fürstenberg, geboren am 25. März 1929 in New York, die am 9. Juni 2008 dort verstarb, und Catherine, geboren 1930 in New York und im gleichen Jahr dort verstorben (?). Nach dem Tod seiner Frau 1966 zog Hellmuth Fürstenberg zurück nach Deutschland; er verstarb am 3. November 1971 in Frankfurt/Main.

Die rechtlichen und finanziellen Regelungen zur Wiedergutmachung 

Als die Fürstenberg-Söhne 1948 den Antrag auf Wiedergutmachung des durch die Nationalsozialisten erlittenen Unrechts stellten, war die rechtliche Regelung dafür noch keineswegs abgeschlossen. Erst am 16. August 1949 wurde das Gesetz Nr. 951 „Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts (Entschädigungsgesetz)“ vom amtierenden Länderrat (den Bundestag gab es noch nicht) auf der Basis von zwei Proklamationen der Militärregierung von 1945 beschlossen. Danach hat „ein Recht auf Wiedergutmachung nach diesem Gesetz …, wer unter der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft (30. Januar 1933 bis 8. Mai 1945) wegen seiner politischen Überzeugung, aus Gründen der Rasse, des Glaubens oder der Weltanschauung verfolgt wurde und hierdurch Schaden an Leben, Körper, Gesundheit, Freiheit, Eigentum, Vermögen oder in seinem wirtschaftlichen Fortkommen erlitten hat.

Das Gesetz hat in der Folge eine Reihe von Ergänzungen erfahren und wurde 1955 durch den Bundestag neu gefasst. Bis dahin waren insgesamt 418 Millionen DM ausgezahlt worden. Der finanzieller Gesamtaufwand für die Durchführung des Gesetzes in der neuen Fassung wurde auf 6,5 bis 7 Milliarden DM geschätzt, wovon bei Inkrafttreten der Novelle (1. April 1956) rund 1 Milliarde DM gezahlt sein sollten (35). Bis 2022 betrugen die Gesamtleistungen etwa 48 Milliarden Euro (als ca. 94 Milliarden DM), wovon (gerundet) 7 Milliarden auf Kapitalentschädigungen und 41 Milliarden auf Renten entfielen; 40 Milliarden Euro an Zahlungen gingen ins Ausland. Nahezu eine Milliarde DM wurde im Rahmen von Globalabkommen mit den europäischen Nachbarstaaten gezahlt. Insgesamt wurden von 1953 bis 1987 mehr als 4 Millionen Anträge auf Wiedergutmachung gestellt, von denen etwa die Hälfte positiv entschieden wurde und die übrigen je zur Hälfte abgelehnt oder zurückgenommen oder anderswie erledigt wurden (Daten aus (36)). Diese Zahl entspricht jedoch nicht der Anzahl der Antragsteller, die niedriger ist: Wie wir sehen werden, haben die vier Fürstenberg-Söhne insgesamt mehr als 30 gleichlautende Anträge in verschiedenen Wiedergutmachungsverfahren gestellt: gegen den deutschen Staat als Rechtsnachfolger des NS-Regimes, gegen die Firma Reiwinkel bzw. gegen Walter Koch, der die Firma Rosenhain übernommen hatten, und gegen den Verein Berliner Künstler, das das Haus am Lützowplatz erworben hatte; diese Anträge wurden in zwei Verfahren zusammengefasst (siehe unten).

Es versteht sich von selbst, dass bei der Vielzahl solcher Verfahren Irrtümer und Fehlentscheidungen nicht ausgeschlossen werden konnten, ebenso wie es versuchten und erfolgreichen Betrug von Antragstellern gegeben hat. Darüber hinaus ist natürlich auch zu berücksichtigen, dass der „ideelle Wert“ eines erlittenen Verlustes mit der monetären Berechnung einer Sache (eines Hauses, eines Schmuckstückes etc.) nicht abgeglichen werden kann und immer zu Lasten des subjektiven Wertes gehen muss, da sich Emotionen nicht messen lassen. Die Wiedergutmachungsverfahren der Gebrüder Fürstenberg wurden daher, wie viele andere solcher Verfahren, vielfach mit erstaunlicher Härte auf Seiten der Beklagten geführt, mit Unterstellungen und Vorwürfen, die heute oft erschreckend wirken; davon weiter unten mehr.

Die beiden Wiedergutmachungsverfahren

Die Wiedergutmachungsakten (WGA) im Landesarchiv Berlin lassen sich grob in zwei Komplexe unterteilen:  1. Antrag auf Wiedergutmachung (Restitution) des Verlustes des elterlichen Hauses am Lützowplatz 9 (WGA-1), und 2. Antrag auf Restitution des Verlustes der Firma Rosenhain GmbH und der mit ihren verbundenen Immobilien (WGA-2). Auffallend ist dabei, dass eine Immobilie, Lützowstraße 60, in keinem der beiden Verfahren eine Rolle spielte, auch wenn die Familie dieses Grundstück bereits 1919 erworben hatte und darauf ein eindruckvolles Wohnhaus stand (Bild 37). 

Bild 37: Das Wohnhaus Lützowstraße 60 (rechts) sowie 61, 1938 kurz nach dem Umbau für die Herresplankammer. Das Wohnhaus 60 gehörte zur Hälfte der Familie Fürstenberg (s. unten, Bild 38) (Quelle: Bundesarchiv Berlin-Lichterfelde, Akte zur Heeresplankammer, digitalisiert: https://invenio.bundesarchiv.de/invenio/direktlink/39ded8c4-abd5-4560-9b00-4ad0348fa79a/)

Bei Durchsicht der WGA-1-Akten fiel auf, dass ein Situationsplan der beiden Grundstücke Lützowstr. 60 und Lützowplatz 9 (Bild 38) darauf hinwies, dass es zum Grundstück an der Lützowstraße einen separaten Vertrag vom 28. Februar 1938 mit dem „Reichsfiskus (Heer) = Wehrkreiskommando III“ gegeben hatte, der zur „Auflassung“ und damit zum Verkauf des Geländes und Gebäudes am 29. Juni 1938 führte. Hier zog nach Umbau noch am 1. Oktober 1938 die Heeresplankammer ein. Zu diesem Vorgang gibt es keine Unterlagen, auch die Bauakte fehlt, aber das Fehlen eines Wiedergutmachungsantrags lässt darauf schließen, dass die Fürstenbergs diesen Vertrag noch ohne „Schaden“ abgewickelt haben und den Verkaufspreis, anders also als die beiden „Verkäufe“ zu WGA-1 und WGA-2, ohne Einschränkungen erhalten haben – er hat es ihnen möglicherweise die Flucht erst ermöglicht. Interessanterweise war das Gartengelände hinter diesem Haus Lützowstraße 60 wiederum Teil des Kaufvertrags mit dem Verein Berliner Künstler (VbK) vom 7. Dezember 1938 war. Nach Auffassung der Familie Fürstenberg war einzig ein 510qm großes Grundstück zwischen den beiden Grundstücken aus jeglicher Vereinbarung herausgefallen und wurde in WGA-1-Verfahren geltend gemacht.

Bild 38: Grundstückplan der Häuser Lützowstrasse 60 und 60a. Das Grundstück 60a (rot) war im Februar 1938 an das Deutsche Reich verkauft worden, das dazugehörige Gartenstück (blau) zusammen mit den Haus Lützowplatz 9 (blau, straffiert) im Dezember des gleichen Jahres
an den Verein Berliner Künstler (Quelle: Wiedergutmachungsakte im Landesarchiv Berlin, B Rep. 025-05 Nr. 204/49, Blatt 80).

Der Verein Berliner Künstler (VbK)

Elf Jahre nach dem Krieg und 18 Jahre nach dem Erwerb des Hauses Lützowplatz 9 (früher: 5), 1956, legte der Verein in einem Bericht (in 7 Teilen) an seine Mitglieder (37) Rechenschaft ab über die Geschichte des Vereins, insbesondere in der Zeit des Wiederaufbaus nach dem 2. Weltkrieg. Der 1841 gegründete Verein residierte von 1898 bis 1928 in der Bellevuestraße 3, war aber „aufgrund wirtschaftlicher Schwierigkeiten“ gezwungen, dieses Haus zu verkaufen. In einem Bieterstreit zwischen Wertheim, Eigentümer des Kaufhauses im Leipziger Platz nebenan, und der französischen Kaufhauskette Lafayette, die in Berlin Fuß fassen wollte, wurde dem Verein von Wertheim 3,1 Millionen Reichsmark für das Haus geboten (davon 1 Million als Hypothek auf das Grundstück) und der Kauf besiegelt. Von diesem Geld erwarb der VbK die Villa des Barons Erich von Goldschmidt-Rothschild in der Tiergartenstraße 2a (Bild 39), die umgebaut und für die Zwecke des Vereins eingerichtet (Gesamtkosten: etwa 700.000 RM) und 1931 eingeweiht wurde. Das verbleibende Vermögen, immerhin noch 1,5 Millionen RM, erlaubte dem Verein üppige Ausstellungstätigkeit in den nächsten Jahren, bis nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten 1933 sich alles änderte: NSDAP-Mitglieder übernahmen den Vorstand (1935), jüdische Vereinsmitglieder mussten den Verein verlassen, und der Plan für die Nord-Süd-Achse der neuen Hauptstadt Germania des Albert Speer (38) machte allen klar, dass auch das Haus Tiergartenstraße 2 nicht mehr lange bleiben konnte. In dieser Situation, so der Bericht, „wendet sich die jüdische Familie Fürstenberg (Egon Sally Fürstenberg) an den Verein und bietet dem Verein ihr Haus Lützowplatz 9 an. … Der Verein … geht auf das Anerbieten ein …und erwirbt nach einer vierteljährlichen Verhandlung das angebotene Haus …“ für 370.000 RM am 10 Dezember 1938 – Ende des 6. Teils des Berichtes. 

Bild 39: Das Künstlerhaus in der Bellevuestraße 3 (links) (Foto von 1900, Fotograf unbekannt) und das Vereinshaus ab 1928 in der Tiergartenstraße 2A (Foto von 1935, Fotograf: Walter Köster, Landesarchiv Berlin Nr. F 290 (08) Nr. 0152454 mit freundlicher Genehmigung).

Was hier aussieht wie ein freundliches Entgegenkommen auf das Angebot der Fürstenbergs ist in Wahrheit ein Ausnutzen der Notlage der Familie – die vierteljährliche Verhandlung wird also eher dem Zwecke gedient haben, den Preis zu drücken, wussten doch alle Beteiligten (insbesondere der aus Parteimitgliedern bestehende Vorstand) im Frühjahr 1938 um die systematische Arisierung jüdischer Geschäfte und Immobilien. Dass die Familie Fürstenberg sich aktiv an der Suche nach einem Käufer beteiligt hat, ist dagegen sehr wahrscheinlich, das hat sie auch im Zuge der „Entjudung“ der Firma Rosenhain gemacht (s. oben, Teil 6). Später (33) wird aus dem freundlichen „Anerbieten“ sogar noch die historisch falsche Behauptung, dieses Angebot sei vom zum VbK gehörenden ausserordentlichen Vereinsmitglied Egon Sally Fürstenberg gekommen (s. oben, Teil 6), schamloser geht es kaum. An anderem Ort und nach dem Krieg wird dieses „Angebot“ sehr wohl in Anführungszeichen gesetzt (39).

Im 7. Teil des VbK-Berichtes geht es dann um das Restitutionsverfahren selbst, das 1949 begann – der „große Umbruch des Reiches“ und der „furchtbare Krieg“ dazwischen kommen sehr kurz weg, die 100-Jahr-Feier seiner Existenz 1941 unter dem Hakenkreuz überhaupt nicht – sie finden sich in anderen Dokumenten ihrer Zeit (40). Dieser 7. Teil fasst die Auseinandersetzungen zwischen dem VbK und den Fürstenberg-Söhnen bis 1956 zusammen und endet 1956; der VbK wird noch weitere drei Jahre warten müssen, bis ein Urteil des Landgerichts Berlin am 6. November 1959 den Streit beendet – und er wird dabei die meisten seiner initial erhobenen Ansprüche und Forderungen verlieren. Einen finalen Teil des Berichtes gibt es nicht, zumindest nicht im Archiv der Akademie der Künste (38).

Literatur

35. https://de.wikipedia.org/wiki/Bundesentschädigungsgesetz

36. Bundesministerium der Finanzen: Wiedergutmachung – Regelungen zur Entschädigung von NS-Unrecht. Im Internet: https://www.bundesfinanzministerium.de/Content/DE/Downloads/Broschueren_Bestellservice/2018-03-05-entschaedigung-ns-unrecht.pdf

37. Archiv der Akademie der Künste (AdK): Archivalien-Nr. VereinBK Nr. 27 (Manuskript der Chronik von Arthur Hoffmann von 1956), und Nr. 713 (Schreiben des Rechtanwaltes Graul vom Dezember 1952).

38. Hans J. Reichhardt, Wolfgang Schäche: Von Berlin nach Germania. Über die Zerstörung der Reichshauptstadt durch Albert Speers Neugestaltungsplanungen. Transit Buch-Verlag 1984.

39. Martin-M. Langner: Der Verein Berliner Künstler zwischen 1930 und 1945. In: Verein Berliner Künstler: Versuch einer Bestandsaufnahme von 1841 bis zur Gegenwart. Berlin, Nikolaische Verlagsbuchhandlung 1991 (hier: Seite 110).

40. Die Kunst im Deutschen Reich, 5. Jahrgang, Folge 8/9 (August/September) 1941 (Zentralverlag der NSDAP, Franz Eher Nachf. München), S. 182-187.

Gedenkveranstaltung für die vergessene Berliner Malerin Eugenie Fuchs

Vor dem Gebäude der Urania, An der Urania Nr. 7, wurde am
Sonntag, 22. Oktober 2023, ein Stolperstein zum Gedenken an die jüdische Malerin Eugenie Fuchs verlegt.

Selbstbildnis Eugenie Fuchs

Eugenie Fuchs, geboren 1873 in Berlin, hatte viele Jahre in Schöneberg, an der ehemaligen Nettelbeckstraße gewohnt. 1933 musste sie Berlin verlassen und ging ins sicher geglaubte Exil in Paris. Von dort wurde sie 1943 nach Auschwitz deportiert und ermordet. Rabbinerin Jasmin Andriani sang und sprach anlässlich der Stolpersteinverlegung ein Kaddish für Eugenie Fuchs. Andriani wies darauf hin, dass ein Kaddish am Grab eines Verstorbenen gesprochen werden soll, da Eugenie Fuchs aber kein Grab habe, käme dieser Stolperstein ihrem Grab am nächsten.

Gedenken an Eugenie Fuchs anlässlich der Stolpersteinverlegung

Rund 40 Personen nahmen an der Verlegung des Stolpersteins teil, die unter erhöhtem Polizeischutz stattfand.

Stolperstein für Eugenie Fuchs

Zuvor gab es in der Urania eine Gedenkveranstaltung, in der das Leben und das künstlerische Werk von Eugenie Fuchs gewürdigt wurde. Die Ehrung fand im Kleist-Saal statt, einem holzgetäfelten großen Raum, der bis 1937 einer jüdischen Loge gehörte, deren Vorsitzender Leo Baeck war.

Kultursenator Joe Chialo sprach ein Grußwort anlässlich der Gedenkveranstaltung in der Urania

Berlins Kultursenator Joe Chialo sprach anerkennende Worte über das Werk der zu Unrecht vergessenen Berliner Malerin Eugenie Fuchs. Erinnern sei wichtig, so Chialo, gerade in der gegenwärtigen Situation, damit sich Ausgrenzung und Verfolgung von Menschen nicht wiederholen.

Im Anschluss berichtete Paul Spies, Direktor der Stiftung Stadtmuseum Berlin, über seine sehr persönliche Verbindung zu Eugenie Fuchs. Im Rahmen der Vorbereitung einer Ausstellung mit dem Titel „Geraubte Mitte“ hatte Spies von der vergessenen Malerin erfahren und stellte fest „sie konnte malen“; eines ihrer Bilder konnte Spies für das Stadtmuseum erwerben.

Paul Spies, Direktor der Stiftung Stadtmuseum Berlin, im Kleist-Saal der Urania

Paul Spies wies auf das Schicksal vieler jüdischer Künstler*innen hin, die, von den Nationalsozialisten vertrieben und ermordet wurden. Es sei wichtig, an ihr Leben und Werk zu erinnern, gerade angesichts der gegenwärtigen Ereignisse im Nahen Osten.

Lutz Mauersberger, der vor wenigen Tagen sein neues Buch (1) über Eugenie Fuchs vorgelegt hat, berichtete sehr kenntnisreich über seine Recherchen zu Leben und Werk der Künstlerin. Nur etwa 10 ihrer Werke waren bisher aufzufinden, vermutlich sind viele Bilder für immer verloren. In den Zwanziger Jahren sei ihre Beteiligung an zahlreichen Ausstellungen nachweisbar. Er freue sich, so Mauersberger, dass zum 150. Geburtstag der Künstlerin erstmals wieder Menschen von ihrem Schicksal erfahren.

Autor Lutz Mauersberger beim Vortrag in der Urania

Judenhäuser in Tiergarten-Süd

Bild: Blick in den Blumeshof vom Schöneberger Ufer aus. Foto (Postkarte) von 1903 aus der Sammlung Ralf Schmiedecke mit freundlicher Genehmigung. Das 2. Haus auf der linken Seite ist die Nr. 15.

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Am 16. Oktober 2023 wurde eine Webseite freigeschaltet, die zu besuchen sich lohnt für alle, die sich für jüdische Geschichte, insbesondere für Berliner jüdische Geschichte interessieren, und auch diejenigen, die dies vielleicht nicht besonders wichtig finden, können hier lernen, wie man Geschichte hier und heute sichtbar machen kann, erzählen kann, ohne auf trockenes Lehrbuchwissen zurückzugreifen und auf längst und oft Gehörtes. 

Die Webseite heißt www.zwangsräume.berlin und erzählt einen vergessenen und/oder verdrängten Aspekt der Vertreibung der Juden aus Deutschland, ihrer Heimat, durch sukzessive Zusammenlegung in Häusern in der Stadt, die Juden gehörten und die lange von der „Entjudung“ verschont blieben zu genau diesem Zweck: „Ab 1939 musste fast die Hälfte der jüdischen Bevölkerung Berlins ihre Wohnungen verlassen und umziehen. Jüdinnen:Juden wurden als Untermieter:innen in Wohnungen eingewiesen, in denen bereits andere jüdische Mieter:innen lebten. Zumeist waren die Zwangswohnungen der letzte Wohnort vor ihrer Deportation und Ermordung“

Die Arbeitsgruppe „Zwangsräume“ des Vereins „Aktives Museum“ um den Historiker Christoph Kreutzmüller, der schon 2012 das verdienstvolle Projekt über die Vernichtung der jüdischen Gewerbetätigkeit veröffentlicht hatte (1), identifizierte in Berlin mindestens 791 solcher Häuser, die auf dieser Webseite genannt – und auf einem Stadtplan lokalisiert – werden, von denen bislang 32 ausführlicher recherchiert, mit Fotos versehen und optisch und graphisch eindrucksvoll erfahrbar gemacht wurden – darunter sieben im Lützowviertel zwischen Kurfürstenstraße und Landwehrkanal, Flottwellstraße und Budapester Straße. Unter den 32 aufgearbeiteten Beispielen von Judenhäusern ist auch das Haus Blumeshof 15, dessen Geschichte und Vorgeschichte wir mehrfach berührt hatten (mittendran vom 15. Juli 2021, vom 6. Januar 2023 und vom 7. September 2023) (Bild).

Aber wie immer gibt es noch Platz für Veränderungen und Verbesserungen – drei Anmerkungen:

1. Blumeshof 15 (heute Kluckstraße 3) existierte natürlich schon länger, vor dem Aufkauf durch die jüdische Gemeinde (1918) war es im Besitz der jüdischen Familie (Witwe) Gerson, die es vermutlich der Gemeinde verkauft/geschenkt hat. Auch das ist Teil der Geschichte.

2. Lützowstraße 48-49 war in den Jahren ab 1933 ein jüdisches Altersheim, worüber wir hier berichtet haben (mittendran von 8. Mai 2022 und vom 28. August 2023), die Häuser wurden 1933 gekauft von der jüdischen Gemeinde, und auch hier wurde „verdichtet“, d.h. zwangsweise wurden Bewohner zusammengelegt aus anderen Heimen und von auswärts. Am Ende waren es etwa 180 Bewohner, mehr als ursprünglich vorgesehen.

3. Als das Reichsicherheitshauptamt (RSHA) die Immobilie (Nr. 48 + 49) 1940 übernehmen wollte, wurde das Altersheim Lützowstraße 48/49 am 10. November 1940 aufgelöst, und 100 bis 125 Bewohner (genauso ungenau steht es in den Akten) wurden in ein Altersheim nach Pankow (Berliner Straße 120/121) verlegt und später von dort deportiert und ermordet. 

Die übrigen Heimbewohner wurden auf folgende Adressen verteilt: In die Lützowstraße 77 (heute: 78) kamen 22 Bewohner und 3 Angestellte; in die Lützowstraße 67 verlegt wurden 15 Bewohner und 1 Angestellte; in die Derfflingerstraße 17 kamen 14 Bewohner und 2 Angestellte; und in der Kluckstraße 27 und in der Lützowstraße 72 wurden 3 bzw. 1 „Externer“ als Untermieter untergebracht. Dies macht zusammen 55 Heimbewohner und 6 Angestellte. Deren Wohn-und Lebensbedingungen und weiteres Schicksal ist bislang weitgehend ungeklärt. Es ist also noch viel zu tun.

1. Christoph Kreutzmüller: Ausverkauf. Die Vernichtung der jüdischen Gewerbetätigkeit in Berlin 1930–1945, Berlin 2012 (2. Auflage Berlin 2013).

Jüdische Geschichte in Tiergarten-Süd: Die nicht-gebaute Synagoge im Hansa-Viertel

Es gibt mehr als einen Grund, warum diese Synagoge nicht gebaut wurde, aber in jedem Fall ist es sehr schade: Sie wäre sicherlich die modernste der Berliner Synagogen geworden, hätte sie die Stürme der Zeit, die Pogrom-Nacht 1938, die Bombardierungen ab 1942 und Straßenkämpfe 1945 überdauert. Es sollte allerdings eine orthodoxe Synagoge werden, was sicherlich ein starker, reizvoller Kontrast geworden wäre, aber auch ein weiterer Grund, warum diese Synagoge nicht gebaut werden konnte. 

Eine Synagoge für das Hansaviertel

Den sukzessiven Umzug eines Teils der jüdischen Bevölkerung Berlins vom – ärmeren – Nordosten in den – reicheren – Südwesten der Stadt hatten wir schon in der Verteilung der Synagogen und Betsäle in einer früheren Geschichte (mittendran vom 22. Juli 2023) gesehen. Die orthodoxen Juden erwarteten von der Gemeindeleitung dementsprechend nicht nur neue liberale (1), sondern auch orthodoxe Synagogen in diesem Teil der Stadt, und ein erster Plan sah eine solche Synagoge in einem Industriegebiet in Moabit vor (Agricolastraße). Alexander Beer (1873-1944) (Bild 1), der Baumeister der jüdischen Gemeinde, der ab 1928 und bis zu seiner Deportation nach Theresienstadt im Blumeshof 15 wohnte, hatte dafür bereits 1926 Pläne vorgelegt, die nicht erhalten sind, die aber im Zuge von Auseinandersetzungen mit der Baupolizei nicht realisiert wurden. 1928 erwarb die Gemeinde ein Grundstück in der Klopstockstraße im Hansaviertel, und Beer entwarf eine eher traditionelle Synagoge (2): Die lag, wie viele sakrale Bauten in Berlin, unmittelbar an der Klopstockstraße und war eingerahmt von Wohnhäusern (Bild 2). 

Bild 1: Foto von Alexander Beer (Datum und Fotograph unbekannt (Quelle: Artikel von 2013 bei www.KulturPort.de, der es von der Tochter Beers, Beate Hammet, Sydney, Australien zur Verfügung gestellt wurde).
Bild 2: Alexander Beers Fassaden-Entwürfe für die Synagoge Klopstockstraße. Oben der Erstentwurf von 1928, unten der revidierte Entwurf von 1929 nach dem Ende des Wettbewerbs. (Quelle: Akten im Landesarchiv Berlin, Re. 202 Nr. 1230 und 1231, gescannt aus und zitiert nach (2), Band 1, S.162)

Im Februar 1929 wurde zusätzlich ein Ideen-Wettbewerb ausgeschrieben, an dem sich renommierte Architekturbüros beteiligten, darunter Moritz Ernst Lesser (1882-1958); unter anderen fungierte Alexander Beer als Gutachter. Den radikalsten Entwurf legte das Architekten-Duo Augusta („Gusti“) Hecht (1903-1950) und Hermann Neumann vor (Bild 3), das damit den ersten Preis gewann. Es war das erste Mal überhaupt, dass sich eine Architektin mit einem sakralen Bau profilierte (3). Die Synagoge sollte 1050 Plätze auf zwei Ebenen haben (Bild 4), und im Inneren all die traditionell-rituellen Einrichtungen, die eine klassische Synagoge ausmachen, nur ihr äußeres Erscheinungsbild brach radikal mit der herkömmlicher – jüdischer – Sakralbauten. Nicht dieser Entwurf, aber der des Architekten Moritz Lesser, wurde von der Gemeinde angekauft.

Bild 3: Fassadenentwurf der Synagoge Klopstockstraße von Gusti Hecht und Hermann Neumann (Quelle: Die Baugilde, 11 Jahrgang (1929), Heft 11, Seite 860)
Bild 4: Grundriss der Synagoge Klopstockstraße von Gusti Hecht und Hermann Neumann (Quelle: Die Baugilde, 11 Jahrgang (1929), Heft 11, Seite 860).

Wer war Gusti Hecht?

Auguste Hecht, von der es leider kein Foto gibt,  wurde 1905 in Brno, damals zu Österreich-Ungarn gehörig, geboren und studierte Architektur 1922-1923 in Wien. Nach dem Examen als Diplom-Ingenieurin kam sie nach Berlin und arbeitete als Architektin wie auch als Journalistin (ab 1931), u.a. beim Berliner Tageblatt und beim Weltspiegel, dessen redaktionelle Leitung sie übernahm (4). Nach der Machtergreifung durch die Nationalsozialisten 1933 verlor sie ihre Anstellung. 1936 emigrierte sie über Paris nach Südafrika, wo sie 1940 heiratete, ein Café eröffnete (5) und am 17. Dezember 1950 in Johannesburg früh an einer Krebserkrankung verstarb. Wenig mehr ist über sie bekannt. In der Literatur zu Carl von Ossietzky (1889-1938) wird erwähnt, dass er den letzten Abend vor seiner Verhaftung am 27. Februar 1933 mit Freunden bei ihr verbrachte und sie in den folgenden Jahren Kontakt zu Ossietzky hielt und wichtige Informationen an den „Freundeskreis von Ossietzky“ weiterleiteten (6).

Und was wurde aus der Synagoge?

Vielleicht war es unter Architekten – und ist es auch heute noch – üblich, sich von Wettbewerbseinreichungen inspirieren zu lassen, jedenfalls modifizierte der Hauptgutachter der Ausschreibung, Alexander Beer, nach diesem Wettbewerb seinen eigenen, früheren Entwurf (Bild 2). „Jedes Ornament fehlt, nicht aber die Kultsymbole. In der Mitte überragen in abstrahierter Form die Gesetzestafeln die kubischen Baukörper und demonstrieren damit immer noch Beers Anspruch auf die Sichtbarmachung des sakralen Charakters seines Synagogenbaus“ (2). Beer erhielt dafür die Zustimmung der jüdischen Gemeinde – ein Schelm, wer Böses dabei denkt. In anderen Bereichen der Wissenschaft würde dies als mögliches Plagiat zumindest kritisch gesehen werden – aber vielleicht ist die Architektur auch eher dem künstlerischen denn dem wissenschaftlichen Feld zuzuordnen, wo man einem solchen Interessenskonflikt aus dem Wege gehen würde. 

Aber auch Beers finaler Entwurf der Synagoge im Hansaviertel wurde dann schlussendlich nicht gebaut, da dafür ein Wohnhaus hätte abgerissen werden müssen – das schien in der Wirtschaftskrise 1929 nicht opportun. Im Sommer 1930 griff die Gemeinde daher zurück auf den Plan einer Synagoge in der Agricolastraße, auf der Basis eines anderen, ebenfalls modernen Entwurfes von Beer; es kam zwar zur Grundsteinlegung (16. September 1930), aber nicht zur Bauausführung, die am 29. April 1932 aufgrund wirtschaftlicher Erwägungen eingestellt wurde. Die nachfolgenden politischen Ereignisse – insbesondere die Reichstagswahl von 1933 – läuteten das Ende jüdischen Lebens in Berlin für eine lange Zeit ein. 

Gusti Hechts Synagogenentwurf aber würde auch heute noch sehr zeitgenössisch wirken.

Literatur

1. Konstantin Wächter. Die Berliner Gemeindesynagogen im Deutschen Kaiserreich. Integration und Selbstbehauptung. Gebrüder Mann Verlag, Berlin 2022.

2. Veronika Bendt, Rolf Bothe (Hg.): Synagogen in Berlin, Zur Geschichte einer zerstörten Architektur, Teile 1 und 2. Verlag Wilhelm Arenhövel, Berlin 1983 (Band 1, Seite 156-165)

3. Ute Maasberg, Regina Prinz: Die Neuen kommen! Weibliche Avantgarde in der Architektur der zwanziger Jahre. Hamburg o. J., Seite 89.

4. https://de.wikipedia.org/wiki/Gusti_Hecht

5. Martin Uli Mauthner: ‘Schubert Park’ – Memories of ‘Continental’ Jo’burg, in: AJR-Journal, 16. Jg. 2016, Nr. 8, Seite 5.

6. https://de.wikipedia.org/wiki/Carl_von_Ossietzky