DAS JÜDISCHE ALTERSHEIM IN DER LÜTZOWSTRASSE


Sowas nennt man einen Zufallsfund: Bei einer Internet-Recherche in Bildarchiven (im bpk Bildarchiv) fiel mir vor etwa zwei Jahren ein Foto auf, das betitelt war „Das jüdische Altersheim in der Lützowstraße 48“. Davon war und ist bislang in der Aufarbeitung der jüdischen Geschichte des Lützow-Viertels nie die Rede gewesen, anders als von der alten Synagoge an der Potsdamer Straße 26, die 1907 durch die Synagoge in der Lützowstraße 16 ersetzt worden war; und gelegentlich wird auch der Betsaal der sephardischen Judengemeinde in der Lützowstraße 111 erwähnt. Aber ein Altersheim?

Ein Blick in die Adressbücher Berlins bestätigte dies: 1933 gehörte die Lützowstraße 48 noch dem Verein für Christliche Erbauungsschriften, die Nr. 49 stand unter Zwangsverwaltung. Ab 1934 gehörten die Häuser mit der Nr. 48 und 49 der jüdischen Gemeinde (Jüdische Altersheime e.V., Rankestraße 33 bzw. Jüdische Gemeinde, Oranienburger 29), und die Nr. 49 war vermietet. Das gleiche gilt in den Jahren 1935 bis 1943, dem letzten Adressbuch vor Kriegsende, aber ab 1938 waren keine Mieter mehr aufgelistet.

Da Bildagenturen wie die bpk in der Regel Geld für die Bereitstellung solcher Bilder nehmen, kam es erst mal nicht in Frage, dieses Bild zu nutzen, ohne weitere Informationen darüber zu haben, wie die Häuser in den Besitz der jüdischen Gemeinde gekommen sind, wer dort gewohnt hat, was aus den Bewohnern geworden ist, ob das Altersheim in der Pogrom-Nacht (9. November 1938) angegriffen wurde und was aus dem Haus und seinen Bewohnern wurde in den Bombardierungen der Kriegsjahre. Anders als andere jüdische Häuser, deren Eigentümer vertrieben wurden und die im Adressbuch mit „ungenannter Eigentümer“ – und nicht etwa „unbekannter Eigentümer“ – ausgewiesen wurden (so z.B. der Eintrag für die Synagoge in der Lützowstraße 16), war das Altersheim in der Lützowstraße 1942 (dem Druckjahr des Adressbuches 1943) formell noch im Besitz der jüdischen Gemeinde – aber 1943 begannen die Deportationen.

Nach einer Anfrage beim Berliner Jüdischen Museum und Archiv im April 2022 kam dann die Überraschung: der Hinweis, dass im Leo-Baeck-Institute in New York ein kleines Konvolut von 18 Fotos unter dem Titel „Jüdisches Altersheim in der Lützowstraße“ (Jewish Old Age Home) existiert (1). Das enthält nicht nur die Außenaufnahme (Bild 1), die auch das bpk anbietet (woher die das wohl hatten?), sondern auch Innenaufnahmen des Altersheims. Einer dieser Aufnahmen (Bild 2) lässt sich entnehmen, dass das Haus vermutlich Platz für etwa 40 Bewohner hatte, nimmt man die Anzahl der Tischgedecke im Speisesaal als Hinweis. Es hatte eine Andachtsnische (Bild 3), einen Tages- und einen Gesellschaftsraum (Bild 4 und 5) sowie einen Festsaal (Bild 6), in dem das Porträt des – vermuteten – Sponsors, Adolf Jandorf, aufgehängt war. Weitere Aufnahmen sind von der Küche, von Wasch- und Plättraum und von den für heutige Verhältnisse relativ kleinen Einzelzimmern vorhanden.

Bild 1: Aussenansicht des Heimes

Bild 2: Speisesaal
Bild 3: Gebetsnische
Bild 4: Gesellschaftsraum
Bild 5: Tagesraum
Bild 6: Festsaal

Abraham Adolf Jandorf (1870-1932) war der Besitzer mehrerer Warenhäuser in Berlin, darunter das KaDeWe an der Tauentzienstraße, das er 1926 an den Warenhausbesitzer Tietze verkaufte, bevor er sich in den Ruhestand zurückzog. Er zog 1930 von der Tiergartenstraße 8 an den Lützowplatz 13 in unmittelbarer Nähe (immer zur Miete, Hausbesitz war ihm ein Graus, sagte sein Sohn in einem Brief von 1967), starb aber wenig später in einer (Holz-)Villa im Grunewald, die seinem Sohn gehörte – dem Terror der Nazis ist er so entgangen (2). Dem Sohn sind vermutlich die Bilder zu verdanken, ebenso wie ein im Leo-Baeck-Archiv dokumentierter Lebensbericht über seinen Vater und andere Dokumente.

Literatur

  1. https://www.lbi.org
  2. Nils Busch-Petersen. Adolf Jandorf. Vom Volkswarenhaus zum KaDeWe. Berlin, Hentrich & Hentrich 2008

Bildquellen:

Sechs Fotos des Jüdischen Altersheims in der Lützowstraße 48, aufgenommen 1933, Teil der Heinrich Stahl Collection AR 7171 im Leo Baeck Institute, New York. Es handelt sich um die Fotos F22809, F22813, F22815, F22816, F22818, F22819 des Albums F ALB 86. Alle Fotos mit freundlicher Genehmigung des Leo Baeck Instituts, New York (Courtesy of the Leo Baeck Institute, New York).