Jüdisches Gewerbe (1)
Der massenhaften Vernichtung Jüdischen Lebens in Europa lief die massenhafte Vernichtung der jüdischen Gewerbetätigkeit in Deutschland voraus. Und dies geschah insbesondere in Berlin, da ja rund fünfzig Prozent aller Juden zugeordneten Gewerbebetriebe in Berlin registriert waren. Allerdings setzte die Verfolgung der Juden nicht plötzlich ein. Antisemitismus hatte in Deutschland eine lange Vorgeschichte und so hatten bereits in den Zwanziger-Jahren die Übergriffe auf Unternehmen, die als jüdisch betrachtet wurden, zugenommen. Mit der Machtübertragung auf Adolf Hitler 1933 startete aber der wohl „radikalste und in seiner Radikalität ,erfolgreichste‘ Umsteuerungsvorgang in der Wirtschaft“ Deutschlands (Ludolf Herbst).
Im weltläufigen Berlin waren die rund 50 000 jüdischen Gewerbebetriebe integraler und wichtiger Bestandteil des Wirtschaftslebens. Heute sind die jüdischen Unternehmen von der Bildfläche verschwunden, ihr Wirken und ihr Beitrag zum Gemeinwohl sind in Vergessenheit geraten, ihre Besitzer geflohen, verschollen oder ermordet.
Auch in Tiergarten und Schöneberg gab es eine lange Liste eingetragener Gewerbebetriebe mit jüdischen Eigentümern, von „A.Bergmann & Co., Industrie- und technische Bedarfsartikel“ in der Potsdamer Straße 56 bis „ Wilhelm Sabor, Damenputzgeschäft“ in der Potsdamer Straße 39a. Von den meisten sind die Spuren verloren oder getilgt.
Deshalb wollen wir hier wenigstens die Geschichte eines Unternehmens in Erinnerung rufen.
Das Drogeriewarenunternehmen „Fa. Kopp und Joseph“ wurde im Juni 1893 von dem Apotheker Emil Joseph und dem Kaufmann Emil Kopp gegründet und 1901 im Handelsregister eingetragen. Der Hauptsitz des Unternehmens war in der Potsdamer Straße 122, die Fabrikation in der Lützowstraße. Die Firma produzierte und vertrieb Parfüme, Badeprodukte, Verbandstoffe und Drogeriewaren – darunter den erfolgreichen Nagelpolier-Stein „Stein der Weisen“. Das Unternehmen florierte und wurde schließlich unter dem Sohn des Gründers, Kurt Josef, zum Marktführer. In der Tauentzienstraße 12 und am Kurfürstendamm 35 konnten Filialen eröffnet werden.
Die am Ku’Damm wurde berühmt, weil sie im Stil der „Neuen Sachlichkeit“ den Innenraum völlig zur Straße öffnete und eine gläserne Vitrine auf den Bürgersteig hinausragte.
Im Haupthaus an der Ecke Potsdamer– / Kurfürstenstraße (heute steht dort ein Woolworth) wurde am 18. November 1911 die vierte Ausstellung der „Neuen Secession“ eröffnet. Bis zum 31. Januar 1912 zeigte diese einen internationalen Überblick der jüngsten Kunstentwicklung und war von zentraler Bedeutung für die Entwicklung des Expressionismus.
Das Unternehmen hatte also nicht nur für die wirtschaftliche Entwicklung Berlins große Bedeutung, sondern wirkte auch im kulturellen und künstlerischen Bereich. Es hätte so gut weitergehen können. Doch 1933 rief Adolf Hitler zum reichsweiten „Judenboykott“ auf. Listen der Geschäfte mit jüdischen Betreibern wurden verbreitet und am 1. April marschierten SA-Männer als „Boykottposten“ auf. Plakate mit judenfeindlichen Sprüchen wurden an die Schaufenster geklebt und Parolen geschmiert. Eigentümer und Mitarbeitende wurden beschimpft und mit offener Gewalt bedroht.
An den Fenstern jüdischer Geschäfte werden von Nationalsozialisten Plakate mit der Aufforderung „Deutsche, wehrt euch, kauft nicht bei Juden“ angebracht.
Der 1899 geborene Kurt Josef war nicht nur ein erfolgreicher Unternehmer, sondern hatte im Ersten Weltkrieg sein Leben für Deutschland riskiert und sogar noch in einem Freikorps gekämpft und war mehrfach ausgezeichnet worden. Da das Regime immer wieder betonte, sogenannte Frontkämpfer besonders ehren zu wollen, empfand er den Boykottaufruf als persönlichen Affront und war nicht gewillt, dies widerspruchslos hinzunehmen. Deshalb „legte er am Morgen des 1. April 33 seine Kriegsauszeichnungen an und erklärte seinen Mitarbeitern, dass er den sogenannten Sieg der Nazis für den Anfang vom Ende Deutschlands halte und jüdischen Angestellten nicht freiwillig entlassen würde. Gleichzeitig ließ Josef die Verleihungsurkunden für seine Orden kopieren und in seinen Filialen auf die Innenseite der Schaufensterscheiben anbringen“. (Kreutzmüller)
Daraufhin drangen SA-Männer in die Geschäftsräume ein und entfernten die Kopien aus den Schaufenstern. Doch Kurt Josef eilte couragiert in das nahegelegene Vereinslokal der SA und verlangte – erfolgreich – die Rückgabe der Kopien.
Und doch wurde er noch am gleichen Tag von eigenen Mitarbeitenden, die sich erstmals als Nationalsozialisten outeten, gezwungen die jüdischen Kollegen zu entlassen. Doch wieder drehte er den Nazis eine Nase und formulierte die Entlassungsbescheide so, dass sie nicht gültig waren und die Betroffenen bald ihre Arbeit wieder aufnehmen konnten.
Doch der nun folgende „Handelsboykott“ durch die Berliner Krankenhäuser traf Kopp & Joseph schwer. „Der Kampf ums Überleben wurde immer schwieriger“, notierte Kurt Joseph. Wegen dramatisch schrumpfender Umsätze musste zunehmend Personal entlassen werden. Teile des Unternehmens wurden in eigenständige Firmen unter teils nicht-jüdischer Leitung ausgegründet oder veräussert, um den behördlichen Schikanen zu entgehen. Nur durch Verkauf des Firmengrundstücks konnte Kurt Josef den Stammbetrieb in der Potsdamer Straße aufrechterhalten. Im Herbst 1938 hatte die Firma nur noch 13 Angestellte, davon waren fünf Juden.
In der „Reichspogromnacht“ im November 1938 wurden dann die Geschäftsräume des Stammhauses geplündert, verwüstet und endgültig zerstört. Sicherheitskräfte schritten nicht ein. Im Gegenteil, Kurt Josef wurde verhaftet und ins KZ Sachsenhausen verschleppt. „Was wir Pogromnacht nennen, sind in Berlin drei, vier Tage“, sagt der Historiker Kreutzmüller. „Berlin war der zentrale Ort der Reichspogromnacht“. Dahinter stand als treibende Kraft der Berlin-Brandenburger Gauleiter und Propagandaminister Joseph Goebbels, der mehrfach bei Hitler auf Gewaltaktionen gedrängt hatte: „Gewalt erfüllt den Zweck, den Juden klar zu machen, dass für sie in Deutschland kein Platz mehr ist.“ 1935 aber wurde dies noch wegen der Olympiapläne abgelehnt, im Juni 1938 im Hinblick auf eine Besetzung des Sudetenlandes und das Verhältnis zu England ebenfalls.
Nach seiner Entlassung aus dem KZ Sachsenhausen verkaufte Kurt Joseph sein Unternehmen „weit unter Preis“ und emigrierte nach Großbritannien, wo er 1963 starb. Seine Familie nachzuholen gelang ihm nicht mehr wegen des Ausbruchs des Zweiten Weltkrieges, Josephs Frau und seine zwei Kinder wurden nach Auschwitz deportiert und dort ermordet.
(Quelle: „Christoph Kreutzmüller: Ausverkauf. Die Vernichtung der jüdischen Gewerbetätigkeit in Berlin 1930-1945“).
Hier berichtet die Historikerin Bethan Griffith über die Recherche zu den Jüdischen Gewerbetreibenden in der und um die Potsdamerstraße: Jüdisches Gewerbe Potsdamerstraße Teil 1